Download PDF
ads:
Der Mann des Schicksals
George Bernard Shaw
The Project Gutenberg EBook of Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw
Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
copyright laws for your country before downloading or redistributing
this or any other Project Gutenberg eBook.
This header should be the first thing seen when viewing this Project
Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
header without written permission.
Please read the "legal small print," and other information about the
eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
important information about your specific rights and restrictions in
how the file may be used. You can also find out about how to make a
donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
Title: Der Mann des Schicksals
Author: George Bernard Shaw
Release Date: February, 2006 [EBook #9802]
[This file was first posted on October 18, 2003]
Edition: 10
Language: German
Character set encoding: US-ASCII
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS ***
E-text prepared by Michalina Makowska
This Etext is in German.
We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format,
known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email--
ads:
Livros Grátis
http://www.livrosgratis.com.br
Milhares de livros grátis para download.
and one in 8-bit format, which includes higher order characters--
which requires a binary transfer, or sent as email attachment and
may require more specialized programs to display the accents.
This is the 7-bit version.
DER MANN DES SCHICKSALS
Komoedie in einem Akt
Bernard Shaw
(Uebersetztung von Siegfried Trabitsch)
Diese Komoedie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker"
veroeffentlicht und aufgefuehrt.
PERSONEN
Napoleon
Ein Leutnant
Eine fremde Dame
Giuseppe
Grandi, Gastwirt
Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von
Mailand nach Lodi.
(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Strasse
von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die
Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die
Ameisenhuegel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden
Schweine und Ochsen in den Doerfern belaestigt, noch verletzt durch das
kuehle Verhalten der Kirchen gegenueber ihrem Licht. Verachtungsvoll
lacht sie jedoch ueber zwei Horden schaedlicher Insekten, naemlich der
oesterreichischen und der franzoesischen Armee. Vor zwei Tagen, bei
Lodi, hatten die Oesterreicher die Franzosen zu hindern versucht, den
Fluss auf der dort befindlichen schmalen Bruecke zu ueberschreiten. Aber
die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjaehrigen General,
Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, ueberschritten
dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Bruecke, unterstuetzt von
einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand
anlegte. Das Schiessen mit Kanonen ist seine technische Spezialitaet.
Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein
Meister in den militaerischen Kuensten, sich von seinen Pflichten zu
druecken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den
Krieg mit dem Laerm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf
allen militaerischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist
ads:
jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des
Schiesspulvers als erster herausgefunden, dass eine Kanonenkugel den
Mann, den sie trifft, unfehlbar toeten muss. Dem gruendlichen Erfassen
dieser bemerkenswerten Entdeckung fuegte er eine hoechst entwickelte
Faehigkeit fuer physikalische Geographie und fuer die Berechnung von Zeit
und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und
eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf
oeffentliche Angelegenheiten, die er waehrend der franzoesischen
Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat
Einbildungskraft ohne Illusionen, und schoepferischen Geist ohne
Religion, Loyalitaet, Patriotismus oder irgendeines der landlaeufigen
Ideale, obwohl er dieser nicht unfaehig ware; im Gegenteil: er hat sie
alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine
dramatische Faehigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines
Schauspielers und Buehnenleiters aeusserst geschickt auszuspielen. Dabei
ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Missgeschick, die Kniffe
einer aermlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfaelle als
Autor, die Demuetigungen eines zurueckgestossenen Strebers, die Verweise
und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu
ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper
Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht
Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants
zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert haette, wuerde er mit
Verachtung aus dem Heere ausgestossen worden sein. Alle diese
Schicksale haben ihm jede Selbstueberschaetzung ausgetrieben und ihn
gezwungen, genuegsam zu sein und zu begreifen, dass die Welt einem Manne
seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann.
Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein
erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es
war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England
leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, dass
es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Caesar erobert wurde.)
(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch frueh in
seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kuerzlich
General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt
hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verfuehren,
und teilweise durch den bereits erwaehnten, infolge der Auswanderung
entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Faehigkeit,
ein Land mit all seinen Strassen, Fluessen, Huegeln und Taelern wie die
Flaeche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen
Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was
die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor
denen das folgende Stueck aufgefuehrt worden ist, so sehr entsetzt hat,
dass sie, eingeschuechtert von dem spaeteren Ruhme des "Empereur", sich
geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist
noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit
caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische
Tapferkeit Einfluss auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der
Lage, seinen Willen nach orthodoxer militaerischer Art mit Hilfe der
neunschwaenzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die franzoesische
Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten
den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal,
unterdrueckt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen
Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, ueberhaupt keinen zu zahlen.
Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen
Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militaergeist preussischer Art
unvereinbar gewesen waeren. Napoleon hat sich daher als ein
Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind,
sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von
emporgekommenen Generaelen, den Alpen genaehert. Dieser Umstand, der
einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht haette, ersetzte
Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt
Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum
etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu
fuer eine ergebene Armee, die von einem General gefuehrt wird, der
Pluenderung als das natuerliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin
ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm
vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die
Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kaempften den ganzen Tag
und marschierten die ganze Nacht, legten unmoegliche Entfernungen
zurueck, tauchten an unmoeglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil
jeder Soldat wusste, dass er den Marschallstab in seinem Tornister trage,
sondern weil jeder hoffte, am naechsten Tage wenigstens ein halbes
Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muss man sich
darueber klar sein, dass die franzoesische Armee nicht mit der
italienischen Krieg fuehrt. Sie ist nur da, um Italien von der
Tyrannei seiner oesterreichischen Eroberer zu befreien und
republikanische Einrichtungen herzustellen, so dass sie, wenn sie
gelegentlich pluendert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer
Freunde umgeht, wofuer Italien sogar haette dankbar sein sollen, wenn
Undankbarkeit nicht die sprichwoertliche Schwaeche der Italiener waere.
Die Oesterreicher, die sie bekaempfen, haben eine recht ansehnliche
regulaere, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der
bisher geuebten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu,
der die klassische Kriegskunst ausuebt, nach Befehlen von Wien aus, und
von Napoleon fuerchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust
handelt, ohne Ruecksicht auf militaerisches Herkommen und Befehle aus
Paris. Selbst wenn die Oesterreicher eine Schlacht gewannen, brauchte
man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre
Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie
dann zurueckzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon spaeter mit
glaenzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wusste. Mit einem Wort,
Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem
Feinde gegenueber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von
oesterreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und
den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu
werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfaehig,
die Handlungsweise solcher Maechte, wie akademischer Militarismus und
Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon
begonnen, das Wort "l'Empereur" zu praegen, und es dadurch hundert
Jahre spaeter den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin
unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano
ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines
Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von
Mailand noch Lodi den Ort beruehrt. Es steht in einem Weingarten, und
sein groesstes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze,
ist gegen diesen Weingarten nach rueckwaerts so weit geoeffnet, dass es
beinahe einer grossen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern,
die durch Alarmsignale und die Ausfaelle der letzten Tage und durch
den Einmarsch franzoesischer Truppen um sechs Uhr in grosser Aufregung
sind, wissen, dass der franzoesische Kommandeur sich in dieses Zimmer
einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das
Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer toedlichen
Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie,
der keinen natuerlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen
sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins
Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle
Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Ruecksichtnahme auf seine
Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich fuer die Parade
bestimmt ist, schwitzt er fuerchterlich in der Sonne; sein gemalter
Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals
herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste
wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schoen
geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen
unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar laecherlich in den
Augen der Geschichte hundert Jahre spaeter, aber fuerchterlich und
schrecklich in den Augen der zeitgenoessischen norditalienischen Kinder,
denen es ganz natuerlich erscheinen wuerde, wenn die Wache die
Eintoenigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, dass sie
ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spiesste, um es ungekocht zu
verspeisen. Trotzdem hat ein Maedchen von schlechtem Charakter, an dem
schon der Sinn fuer ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat,
erwacht ist, sich fuer einen Augenblick verstohlen an das sicherste
Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es
davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon frueher
gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren
bei den Weinstoecken; die Tuere dicht zu ihrer Rechten, die nach dem
Eingange des Gasthauses fuehrt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter
hinten an derselben Seite nun in voller Taetigkeit fuer das Mittagessen
steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Naehe und
eine andere Tuer, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren
Raeume fuehrt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von
Mailaender Risotto, Kaese, Trauben, Brot, Oliven und einer grossen, mit
Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi,
ist auch nichts Neues fuer sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter,
gehoerig heiterer, schwarzlockiger, kugelkoepfiger, grinsender kleiner
Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute
abend in extra guter Laune ueber sein Glueck, den franzoesischen
Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn
vor den Uebergriffen der Soldaten schuetzt. Er traegt sogar ein Paar
goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an
Silbergeschirr sorgfaeltig unter der Kelter versteckt haben wuerde.)
(Napoleon jedoch, der ihm gegenueber an der hinteren Seite des Tisches
sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf
dem Sofa liegen, sieht das Maedchen zum erstenmal. Er arbeitet hart,
teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiss,
indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit
ist der erste Schritt zu seinem spaeteren Untergange), und teils an
einer Landkarte, die er aus dem Gedaechtnis verbessert, wobei er
gelegentlich die Stellungen seiner Streitkraefte kennzeichnet, indem er
eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie
eine Oblate auf die Landkarte drueckt. Er hat Schreibmaterial vor sich
liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein
langes Haar faellt bald in die Risottobruehe herab, bald in die Tinte.)
(Giuseppe.) Wollen Exzellenz....
(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der
linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe
zu tun.
(Giuseppe in ungetruebt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz.
(Napoleon.) Bring mir rote Tinte!
(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz.
(Napoleon mit korsischem Humor:) Toete etwas und bring' mir das Blut.
(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer
Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau.
(Napoleon.) Toete deine Frau.
(Giuseppe.) Mit groesstem Vergnuegen, Exzellenz. Aber
ungluecklicherweise ist sie staerker als ich--sie wuerde mich toeten.
(Napoleon.) Das waere ebenso gut.
(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach
der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck
erfuellen.
(Napoleon beschuetzt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein?
Nein--das waere Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung!
Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce,
wobei er die Gabel als Feder benuetzt.) Raeum' ab! (Er leert sein
Weinglas, stoesst seinen Stuhl zurueck und benuetzt seine Serviette,
streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurueck, aber noch immer die
Stirn runzelnd und in Gedanken.)
(Giuseppe raeumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett,
das auf dem Buefett steht:) Ein jeder denkt, wie es fuer sein Geschaeft
taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfuegen ueber eine Menge billigen
Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergiessen,--Ihr grossen Generale
verfuegt ueber eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu
vergiessen. Hab' ich recht, Exzellenz?
(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und
geht an den Kamin.)
(Giuseppe.) Man sagt, dass Sie mit allem sparen, ausser mit
Menschenleben, Exzellenz.
(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das
sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.)
(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit
Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten
koennte!
(Napoleon.) Dann wuerdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was?
(Giuseppe.) Das waere fuer mich zu muehsam, Exzellenz, ich ueberlasse es
lieber Ihnen. Ueberdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden,
wenn ich Kaiser wuerde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus
fuer Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen,
wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien fuer mich regieren.
(Waehrend er schwaetzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte
und das Tintenfass wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die
Haende und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.)
(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloss von Europa?
(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser
der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekraeftigt
seine Saetze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist
wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:)
eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stueck gefaltet
hat, schlaegt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt
zusammen and schliesst seinen Redefluss:) Gewinnt man eine, so gewinnt
man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Buefett und legt es in
eine Schublade.)
(Napoleon.) Und fuer alle regieren, fuer alle kaempfen, jedermanns Knecht
sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe!
(Giuseppe vor dem Buefett:) Exzellenz--?
(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir ueber mich zu sprechen.
(Giuseppe geht an das Fussende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin
so ganz verschieden von andren grossen Maennern, die lieben gerade
dieses Thema am meisten.
(Napoleon.) Gut, sprich mit mir ueber das, was grosse Maenner als
zweitbestes lieben, was es auch sein mag.
(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz.
Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu
sehen bekommen?
(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an,
das die Frage vollkommen angebracht erscheinen laesst:) Wie alt ist sie?
(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz.
(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreissig?
(Giuseppe.) Dreissig, Exzellenz.
(Napoleon.) Ist sie schoen?
(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder
Mann muss das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine
schoene Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch fuer das Fruehstueck
decken?
(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der
Offizier, auf den ich warte, zurueckkommt. (Er sieht auf seine Uhr und
faengt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.)
(Giuseppe mit Ueberzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den
verfluchten Oesterreichern gefangen worden; er wuerde es nicht wagen,
Sie warten zu lassen, wenn er frei waere.
(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn
sich herausstellen sollte, dass du recht hast, so wird mich das in eine
Laune versetzen, dass mich nichts anderes besaenftigen kann, als dich
und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhaengen
zu lassen!
(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfuegung, Exzellenz! mit
Ausnahme der Dame. Ich kann fuer sie nicht buergen; aber welche Frau
koennte Ihnen widerstehen?!
(Napoleon setzt seine Wanderung duester fort:) Hm, du wirst niemals am
Galgen enden. Es ist kein Vergnuegen dabei, einen Mann zu haengen, der
nichts dagegen einzuwenden hat.
(Giuseppe liebenswuerdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr?
(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh,
man sieht, dass Sie ein grosser Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu
warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle
waere--nach drei Minuten wuerde er fluchen, toben, drohen und das Haus
von oben nach unten kehren.
(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unertraeglich. Geh und
schwatz draussen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf
die Haende, seine Ellbogen auf die Landkarte gestuetzt, und starrt mit
unruhigem Ausdruck auf sie hin.)
(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestoert werden.
(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurueckzuziehen.)
(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein.
(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz.
(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des
Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei
letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.)
(Napoleon stutzig:) Was ist das?...
(Giuseppe stuetzt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und
beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz.
(Napoleon zerstreut:) Ja... was fuer eine Dame... wessen Dame?...
(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz.
(Napoleon.) Was fuer eine fremde Dame?
(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe
Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem
"Goldenen Adler" in Borghetto gehoert. Tatsaechlich: sie ganz allein,
Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das
war alles. Der Postillon sagte mir, dass sie im "Goldenen Adler" ein
Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militaerischem Sattelschmuck.
(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewoehnlich.
(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in
herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe!
(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante
Stimme.
(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich
komme schon! ich komme schon, meine Gnaedige! (Er eilt zur inneren Tuer.)
(Napoleon haelt ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie
soll hierher kommen.
(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe!
(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine
Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich
an den Soldaten in Ihnen!
(Eines Mannes Stimme ruft draussen vor der Tuer des Wirtshauses:) Ist
jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf
einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der
ploetzlich wieder kommandierender Offizier wird, stoesst Giuseppe fort:)
Da ist er endlich! (Auf die innere Tuer weisend:) Geh, kuemmere dich um
dein Geschaeft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht
mit dem Ruecken dagegen, mit entschlossenem militaerischem
Gesichtsausdruck.)
(Giuseppe atemlos, reisst sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er
eilt durch die innere Tuer hinaus.)
(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schlaeft hier alles? (Die dem
Kamin gegenueberliegende Tuer wird heftig mit dem Fusse aufgestossen, and
ein staubbedeckter Leutnant stuerzt in das Zimmer. Er ist ein
toerichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen,
zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit
des Aristokraten, welche die franzoesische Revolution nicht im geringsten
erschuettern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges,
leichtglaeubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewusste
Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne
Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfaenglich fuer die
napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im
hoechsten Grade dazu geeignet, dort geraeuschvoll hereinzustuermen, wo
selbst ein Engel sich fuerchten wuerde, nur den Fuss aufzusetzen, doch von
einer starken geschwaetzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste
Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er
empoert ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden,
aber ein schaerfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische
Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, dass er unter
einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruss leidet. Als er Napoleon
bemerkt, kommt er genuegend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu
salutieren. Aber er verraet auf keine Weise durch sein Benehmen etwas
von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo
und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die
die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen wuerde.)
(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl
lautete, dass ich um sechs Uhr hier sein wuerde, und dass Sie mich mit
meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt
fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter
fuer diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im
Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spaet und kommen zu Fuss--wo
ist Ihr Pferd?
(Leutnant zieht verdriesslich seine Handschuhe aus und wirft sie mit
seiner Muetze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade
wuesste ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht,
wie ich dies Pferd geliebt habe.
(Napoleon aergerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit ploetzlicher
Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen?
(Leutnant wichtig, eher froh, dass er ganz besondere Nachrichten hat,
als bekuemmert:) Das weiss ich nicht.
(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?!
(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl
vor ein Kriegsgericht kommen. Schoen! ich habe nichts dagegen,
standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluss:)
ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden
Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen
Luegner!--dann werde ich seine Schoenheit zurichten... eine Fratze will
ich aus ihm machen... ich werde---
(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was fuer einen unschuldig
aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und
berichten Sie militaerisch!
(Leutnant steht ihm gegenueber an der anderen Seite des Tisches und
stuetzt sich mit den Faeusten auf:) Oh ich bin ganz gefasst, Herr
General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem
Kriegsgericht gruendlich klarmachen, dass ich unschuldig bin. Die
bessere Seite meiner Natur wurde schaendlich ausgenuetzt, und ich schaeme
mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem
Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, dass, wenn ich diesem
Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn--
(Napoleon aergerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt!
Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so
lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt
entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepressten Lippen.)
(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklaerungen!
(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton aendern, Herr General,
wenn Sie hoeren, was mir zugestossen ist.
(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestossen, Mensch! Sie leben und sind
nicht kampfunfaehig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden?
(Leutnant.) Mir ist nichts zugestossen--nichts? Oho! (Wirft sich in
Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu ueberwaeltigen.) Er hat
mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, dass
meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das
nichts? Er hat geweint--wirkliche Traenen--ueber die Geschichte meiner
Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein
bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen
hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine
Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--aeusserst wichtige
Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er
sieht, dass er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das
nichts?!
(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan?
(Leutnant als ob der Grund ganz klar waere:) Um mir sein Vertrauen zu
beweisen. (Napoleons Kiefer faellt nicht gerade herunter, aber seine
Gelenkbaender werden schlaff. Der Leutnant faehrt mit ehrlicher
Entruestung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe
ihm alles ehrlich zurueckgegeben. Aber wuerden Sie es glauben, Herr
General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine
Depeschen anvertraut hatte...
(Napoleon wuetend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan?
(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu
beweisen, natuerlich. Und er hat mich betrogen, ausgenuetzt, ist nicht
wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verraeterische,
kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts
zugestossen"! Aber sehen Sie, Herr General--(haelt sich wieder mit der
Faust am Tische, um mit groesserer Emphase zu sprechen.) Sie moegen
diesen Schimpf von den Oesterreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber
was mich persoenlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals
erwische--
(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine
Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug
gesagt.
(Leutnant aeusserst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal
sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein
Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde---
(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiss werden Sie das. Was fuer eine
Art Mensch war er?
(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie
schliessen koennen, was fuer eine Art Mensch das war.
(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus?
(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie haetten den
Burschen bloss mal sehen muessen, dann wuerden Sie einen Begriff davon
haben, wie er aussieht. Fuenf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe,
wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn
jemals--
(Napoleon ruft wuetend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am
Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie koennen!
(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, dass es umsonst
ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie haette
ich wissen sollen, was fuer eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen
Sessel, der zwischen der aeusseren Tuer und dem Buefett steht, stellt ihn
an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung haetten, wie hungrig
und muede ich bin, wuerden Sie mehr Ruecksicht nehmen.
(Giuseppe zurueckkommend:) Was befehlen Exzellenz?
(Napoleon mit seinem Temperament kaempfend:) Nimm diesen... diesen
Offizier; gib' ihm zu essen; wenn noetig, bring ihn zu Bett; und wenn
er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm
passiert ist, und lass mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie
sich als Arrestanten, Herr Leutnant.--
(Leutnant aergerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur
ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen
auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon hoeflich an,
der ihn heftig auf das Sofa wirft.)
(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Oesterreichern ueberfallen
worden, Herr Leutnant? O weh, o weh!
(Leutnant verachtungsvoll:) Ueberfallen! Ich haette sein Rueckgrat
zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen koennen! Wenn ich es
nur getan haette! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere
Seite meiner Natur appelliert hat--und darueber kann ich nicht
hinwegkommen! Er sagte, dass ihm noch nie ein Mensch so gefallen haette
wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine
Muecke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er
zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und
untersucht es.)
(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er
riecht daran:) Parfuemiert!
(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er
riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend,
nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schliesslich in seine
Brusttasche.)
(Leutnant.) Jedenfalls passt es zu ihm. Ich bemerkte, dass er
Weiberhaende hatte, als er mein Genick beruehrte in seiner
schmeichlerisch taendelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund!
(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen
Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals---
(Die Stimme einer Dame draussen wie zuvor:) Giuseppe!
(Leutnant erstarrt:) Was war das?
(Giuseppe.) Nur eine Dame ueber uns, Herr Leutnant, die mich ruft.
(Leutnant.) Eine Dame!
(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!?
(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stuerzt an das Sofa,
ergreift seinen Degen und zieht ihn.)
(Giuseppe springt vor und fasst seinen rechten Arm:) Was faellt Ihnen
denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hoeren Sie nicht, dass es
eine weibliche Stimme ist?
(Leutnant.) Ich sage Ihnen, dass es seine Stimme ist--lassen Sie mich
los! (Er stuerzt fort und will zur inneren Tuere; da oeffnet sich diese
vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr
anziehende Erscheinung, gross und ungewoehnlich grazioes, mit einem zart
intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft
liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenfluegeln,
Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und
originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach.
Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kraeftig gebaut, die Haende und
Fuesse, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstuecke,
sondern stehen im richtigen Groessenverhaeltnis zu der ganzen Gestalt,
die die Napoleons und des Wirtes betraechtlich ueberragt und der des
Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender
Reiz verdecken indessen ihre Groesse und Kraft. Nach ihrem Kleide zu
schliessen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums,
oder sie vertraegt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider,
jedenfalls traegt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlaegen, kein
nachgemacht griechisches Unterkleid a la Madame Tallien,--nichts,
wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht haette tragen
koennen. Ihr Kleid von gebluemter Seide mit langer Taille ist am Ruecken
mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie fuer
diese zu gross ist, zu blossen Rudimenten verkuerzt. Es ist im Nacken
ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu
geschmueckt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und
graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die
an die Vorrechte von Rang und Schoenheit gewoehnt ist. Der Wirt, der
von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr hoechst eingenommen.
Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen.
Sein Gesicht roetet sich, er wird steifer und fuehlt sich unsicherer als
zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in
Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich
wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewaehren--zu
dem andern Herrn, der mit Gefuehlen, die ganz unaussprechlich und
unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes
Meisterwerk an Verraeterei und Verstellung waere. Als sie ihn erkennt,
wird sie totenblass; ihr Ausdruck kann nicht missverstanden werden. Die
Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gaenzlich unerwarteten Irrtums
hat sie jaeh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und
Siegesgewissheit. Im naechsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter
dem cremefarbenen Fichu auf und ergiesst sich ueber ihr ganzes Gesicht.
Man sieht, dass sie am ganzen Leibe erroetet. Selbst der Leutnant, der
fuer gewoehnlich ganz unfaehig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr
seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man
es ihm rot anstreicht. Da er das Erroeten als das unfreiwillige
Eingestaendnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verraeterei
auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf
sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich
her in das Zimmer, schlaegt die Tuere zu und pflanzt sich mit dem Ruecken
davor auf.)
(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also
verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus!
(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant!
(Dame erschrocken, aber hoechst entruestet, dass er es gewagt hat, sie
anzuruehren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht
eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.)
(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von
der Stelle!
(Dame zu Napoleon fluechtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie
werden mich beschuetzen--nicht wahr?
(Leutnant.) Kuemmern Sie sich nicht um ihn, Herr General.
Ueberlassen Sie ihn mir.
(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in
solcher Weise?
(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein
Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du--
(Dame laeuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen
Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schuetzen:) Oh,
ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern!
(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie laesst
seinen Arm ploetzlich los und erroetet wieder:) Und Sie sind im Arrest!
Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant!
(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein oesterreichischer
Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenueber aufgespielt, als
gehoerte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen
gegenueber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder
nicht?
(Dame.) Herr General--das muss mein Bruder gewesen sein--der ist beim
Stabe General Massenas und sieht mir sehr aehnlich.
(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, dass Sie
nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die
mir so aehnlich sieht... die meine schoenen blauen Augen hat? Es war
eine Luege,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie
Ihre eigenen! Welche Perfidie!
(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und
dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich ueberzeugt sind, dass diese Dame
kein Mann ist?
(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann wuerde mein
Vertrauen nie so getaeuscht haben--
(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie
dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen!
(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen.
(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor
Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was fuer ein Interesse ein
Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann.
Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.
(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er oeffnet die Tuere.)
(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen.
Hueten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame,
Sie entschuldigen, ich hielt Sie fuer dieselbe Person, nur von
entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natuerlich irregefuehrt.
(Dame suess:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, dass Sie
mir nicht laenger boese sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.)
(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu kuessen:) Oh, meine Gnaedige,
nicht im gering... (faehrt zurueck und starrt auf ihre Hand:) Sie haben
die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er.
(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge.
(Leutnant.) Das erklaert alles. (Er kuesst ihre Hand:) Bitte tausendmal
um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das
ist mehr Sache des Generals--aber es war der Missbrauch meines
Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Muetze,
Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie
entschuldigen, dass ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure
unendlich. (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt
ihm und schliesst die Tuer.)
(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot!
(Dame laechelt liebenswuerdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch
und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle
seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen fuer Ihren Schutz
danken, Herr General?
(Napoleon wendet sich ploetzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell!
(Er streckt die Hand danach aus.)
(Dame.) Herr General! (Unwillkuerlich greift sie mit den Haenden nach
dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschuetzen.)
(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben
sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da
in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Haenden...
(Dame zieht ihre Haende rasch weg:) Oh, wie unliebenswuerdig Sie mit mir
sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie aengstigen
mich! (Sie beruehrt ihre Augen, als wollte sie eine Traene wegwischen.)
(Napoleon.) Ich sehe, dass Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie
wuerden sich die Muehe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten.
(Dame tut so, als ob sie zwischen Traenen laecheln wollte:) Doch, ich
kenne Sie--Sie sind der beruehmte General Buonaparte. (Sie gibt dem
Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.)
(Napoleon aergerlich, mit franzoesischer Aussprache:) Bonaparte, Madame,
--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefaellig ist!
(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reisst ihr das Taschentuch
heftig aus der Hand:) Herr General! (Entruestet.)
(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie
waren so liebenswuerdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentuecher zu
leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden
Taschentuecher.) Sie sind einander vollstaendig gleich. (Er riecht
daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf
die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit
ebenso wenig Umstaenden wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das
duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre spaeter in Victorien Sardous
Drama "Dora" wieder auf.)
(Dame mit wuerdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose
Frauen?
(Napoleon grob:) Ja!
(Dame verbluefft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife
nicht--ich ...
(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil
Ihre oesterreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, dass ich
sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden,
wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Hoehle des Loewen
geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine
vernuenftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht
drohend einen Schritt vor.)
(Dame bricht in kindischer, ohnmaechtiger Wut zusammen und wirft sich
in Traenen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen
gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich
habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor
Herzklopfen bei jedem argwoehnischen Blick und jeder drohenden Bewegung.
Halten Sie jeden Menschen fuer so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum
vollbringt ihr tapferen Maenner nicht die tapferen Taten? Warum
ueberlasst ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht
tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurueck--die Gefahr macht mich elend.
(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben?
(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem
vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der
keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefuehl, kein... (Sie
haelt inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie
mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu
stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwoere es!
(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie
schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur
Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und
ihr Gerede zu ruehren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man
klar, dass sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu
ueberlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.)
(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will
sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Tuere.)
(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame.
(Dame richtet sich mit einer edlen Gebaerde beleidigten Zartgefuehls auf:)
Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr
General.
(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, waehrend ich Ihr
Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse.
(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie koennen sich die
Muehe ersparen: sie sind nicht dort.
(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt
auf ihre Brust.)
(Dame mit niedlicher Klaeglichkeit:) Herr General, ich moechte nur einen
kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir
wenigstens den!
(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernuenftige Bitte, Madame?
(Dame weil er nicht kurzweg abschlaegt, ermutigt:) Nein--aber gerade
deshalb muessen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wuensche
vernuenftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben fuer Ihre Siege,
Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche
Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein
tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist
im Begriff, ihm wieder zu Fuessen zu fallen.)
(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich
aergerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, haelt einen Augenblick inne
und sagt ueber seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie
wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser
Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort
erblickt, fuehlt er, dass sein Sieg vollstaendig ist und dass er sich
jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er
kommt zurueck und setzt sich neben sie. Sie sieht geaengstigt auf und
rueckt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung
erglaenzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich ueber einen
heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, dass ich tapfer bin?
(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.)
(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die franzoesische Aussprache
betonend.)
(Dame.) Oh, wie koennen Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen
an der Bruecke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell ueber den Fluss hinweg
auszufechten, waehrend der Tod durch die Luefte sauste! (Schaudernd:)
Oh, Sie vollbringen Heldentaten!
(Napoleon.) So wie Sie.
(Dame.) Ich? (Mit einem ploetzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind
also ein Feigling?
(Napoleon lacht grimmig und schlaegt auf seine Knie:) Das ist die
einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen duerfen. Der
Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Laenge, seinem Alter, seinem
Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und
geht, in sich hineinkichernd, mit den Haenden auf dem Ruecken und
vorgeneigtem Kopf, auf und ab.)
(Dame als ob sie nichts Laecherliches dabei finden koennte:) Ah, Sie
koennen sich ueber die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht,
was Furcht ist.
(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an,
dass Sie diesen Brief nur haetten bekommen koennen, wenn Sie vorgestern
ueber die Bruecke bei Lodi zu mir gekommen waeren,--nehmen Sie an, dass
Sie keinen andern Weg gehabt haetten und dass dies ein sicherer Weg
war--vorausgesetzt, dass die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie
schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Haenden.) Wuerden
Sie Angst gehabt haben?
(Dame.) Oh, fuerchterliche Angst! toedliche Angst! (Sie presst ihre
Haende aufs Herz.) Die blosse Vorstellung schmerzt schon!
(Napoleon unbeugsam:) Wuerden Sie wegen der Depeschen gekommen sein?
(Dame ueberwaeltigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie
mich nicht! Ich haette kommen muessen!
(Napoleon.) Warum?
(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen waere. Weil es keinen andern Ausweg
gegeben haette!
(Napoleon mit Ueberzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr
verlangt haette, dass Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst wuerden
ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die
Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag,
ist die einzige, die Sie sowohl beim juengsten Tambour als auch bei mir
finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf
treibt: Gleichgueltigkeit macht, dass sie davonlaufen. Furcht ist die
Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl,
besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein
Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde,
weil ich mich fuerchtete einzugreifen. Ich fuehlte mich als Feigling
bis in die Fussspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten raechte
ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode
knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von
irgend etwas, das er wirklich wollte, zurueckgehalten, oder auch nur
eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen
zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge
schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, dass es
keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Maenner, weil
ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von
Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir haetten
kommen muessen, Sie wuerden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der
Bruecke waere vor der Notwendigkeit jedes andere Gefuehl geschwunden--
vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu
bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, dass Sie
davongekommen waeren mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung
reicher, dass in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz
zusammenschnuerte, sondern die Ausfuehrung Ihres Planes unterstuetzte,
dass sie aufgehoert haette, "Furcht" zu sein, und sich in Staerke,
Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit
verwandelt haette,--wie wuerden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt
wuerden, ob Sie ein Feigling sind?
(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held!
(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch
das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht
unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.)
(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem,
was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht
bei Lodi fuer niemand andern, als fuer sich selbst gewinnen--nicht wahr?
(Napoleon.) Selbstverstaendlich! (Sich ploetzlich besinnend:)
Halt--nein! (Er rafft sich ehrfuerchtig zusammen und sagt wie ein Mann,
der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der
franzoesischen Republik. Ich folge demuetig den Fusstapfen der Helden
des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten fuer die
Menschheit--fuer mein Vaterland--nicht fuer mich!
(Dame enttaeuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held.
(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die
Wange in die Hand gestuetzt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.)
(Napoleon hoechst erstaunt:) Weibisch?!
(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben
Sie, wenn ich jene Depeschen nur fuer mich brauchte, dass ich mich dann
ihretwegen in eine Schlacht wagen wuerde? Nein! wenn das alles waere,
wuerde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen.
Mein Mut ist bloss Sklaverei. Ich weiss damit fuer meine eigenen Zwecke
nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt
heraus, einen andern zu retten und zu beschuetzen, kann ich Dinge tun,
die mich entsetzen.
(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschaetzig von
ihr fort.)
(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, dass ich nicht wirklich mutig bin.
(Faellt wieder in aergerliche Teilnahmslosigkeit zurueck.) Aber was fuer
ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch
nur fuer andere gewinnen? Fuer Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es,
was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose.
(Napoleon wuetend:) Ich bin kein Franzose!
(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hoeren, dass Sie sagten, Sie haetten
die Schlacht bei Lodi fuer Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es
franzoesisch oder italienisch aussprechen?
(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde
als franzoesischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich.
(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stuetzt sich darauf mit
einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind
ueberhaupt nicht als Untertan geboren.
(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das
meinen Sie also?
(Dame.) Ich bin davon durchdrungen!
(Napoleon.) Nun, nun, Sie moegen vielleicht recht haben. (Die
Selbstgefaelligkeit seiner Beipflichtung faellt ihm selbst auf. Er haelt
erroetend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des
klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen hoechst
moralischen Ton an.) Aber wir duerfen niemals ausschliesslich fuer uns
leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, dass wir immer an andere denken
sollen, fuer andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren.
Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergroesse.
(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht
man leicht, dass Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General.
(Napoleon entruestet, vergisst alles ueber Brutus und Scipio:) Was wollen
Sie mit diesen Worten sagen, Madame?
(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, dass die Menschen den Wert der
Dinge, die sie nicht besitzen, immer ueberschaetzen? Die Armen glauben,
dass sie nichts als Reichtuemer brauchten, um vollkommen gluecklich und
gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus
demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat.
Oh, wenn Sie nur wuessten!
(Napoleon mit aergerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wuessten--? Ich bitte Sie,
haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin?
(Dame laesst die Arme fallen und faltet die Haende ueber den Knien, gerade
vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglueck, gut auf die Welt zu
kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen
versichern, es (ist) ein Unglueck, Herr General. Ich bin wirklich
wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehoert, aber das
ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut,
wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein.
(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten
starken Interesses:)
(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer
Macht? Nur, dass Sie an sich selbst glauben. Sie koennen nur fuer sich
kaempfen und siegen--fuer niemand sonst. Sie haben keine Angst vor
Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen
koennten, wenn wir den Willen und den Mut dazu haetten, und das
(ploetzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie
alle anzubeten beginnen. (Sie kuesst seine Haende.)
(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich,
Madame!
(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurueck. Sie haben ein Recht
darauf--Sie werden einst als Kaiser ueber Frankreich herrschen----
(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat!
(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser ueber Frankreich--dann ueber
Europa--vielleicht ueber die ganze Welt... Ich bin nur der erste
Untertan, der Ihnen Treue schwoert. (Kuesst wieder seine Hand.) Mein
Kaiser!
(Napoleon hebt sie ueberwaeltigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind,
das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:)
So, so, liebes Kind!
(Dame mit Glueckstraenen kaempfend:) Ja, ich weiss, dass es unverschaemt
ist, Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen muessen.
Aber Sie sind mir nicht boese--nicht wahr, nein?
(Napoleon.) Boese? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im
geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernuenftige und
interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir
Freunde sein?
(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre
Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Haende mit einem
strahlenden Laecheln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen.
(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?!
(Dame.) Was ist geschehen?
(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafuer mein Vertrauen
schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was?
Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Kuenste an mir versucht, und ich war
ein ebenso grosser Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er
geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse
jetzt nicht mehr mit mir spassen!
(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General--
(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des
Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten
wenden will.)
(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie koennen Sie es
wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen?
(Napoleon.) Wagen?!
(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, dass Sie sich herausnehmen duerfen,
mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene,
gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage.
(Napoleon ausser sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal:
Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen
entreissen?--mit Gewalt! (Dame laesst die Haende sinken:) Ja, entreissen
Sie sie mir--mit Gewalt! (Waehrend er sie anstarrt wie ein
sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Maertyrerstellung ihre Arme ueber
der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons
theatralischen Instinkt. Er vergisst seine Wut, um ihr zu zeigen, dass
er ihr auch im Komoedienspielen gewachsen ist. Er laesst sie einen
Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht ploetzlich auf,
er legt die Haende mit herausfordernder Kaelte auf den Ruecken, sieht an
ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak,
wischt seine Finger sorgfaeltig ab und steckt sein Taschentuch ein.
Ihre heroische Pose wird dadurch immer laecherlicher.)
(Napoleon endlich:) Nun?
(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun,
was wollen Sie beginnen?
(Napoleon.) Ihre Pose verderben!
(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das
Sofaende, wendet sich mit dem Ruecken dagegen, lehnt sich an und steht
ihm, mit den Haenden auf dem Ruecken, gegenueber.)
(Napoleon.) So ist's besser. Nun hoeren Sie mir zu. Sie gefallen
mir--und was mehr ist, ich schaetze Ihre Achtung.
(Dame.) Dann schaetzen Sie, was Sie nicht besitzen.
(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hoeren Sie: gesetzt den
Fall, ich wuerde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer
Schoenheit, Ihrem Heldentum und allem uebrigen schuldig bin, bestimmen
lassen. Nehmen Sie an, dass ich, obwohl nichts als solch sentimentaler
Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen
Papieren stuende, die Sie bei sich haben und die ich haben will and
auch bekommen werde, nehmen Sie an, dass ich mit der Beute vor mir
schwankend werden und mit leeren Haenden mich hinwegschleichen wuerde,
--oder, was noch aerger waere, dass ich meine Schwaeche zu verdecken
suchte, indem ich den grossen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt
ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--wuerden Sie mich nicht aus
der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Wuerde irgendeine
Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, dass er auch dieser
Lage gewachsen ist und, wenn noetig, unmaennlich handeln darf.
Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame
auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides.
Einen Moment fuehlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen,
aber ihre gute Erziehung haelt sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine
Weise Luft zu machen. Sie ueberreicht sie ihm hoeflich und wendet bloss
den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der
entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den
Haenden und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der
Stuhllehne zukehrt.)
(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor
er sie oeffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen...
(Er bemerkt, dass sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr boese auf
mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen
sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.)
(Dame ruhig, nimmt ihre Haende herab und zeigt, dass sie nicht weint,
sondern bloss nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid.
(Napoleon haelt in der Taetigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu
nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum?
(Dame.) Ich werde sehen muessen, wie Sie Ihre Ehre verlieren.
(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.)
(Dame.) Und Ihr Glueck.
(Napoleon.) Glueck, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der
Welt. Waere ich, was ich bin, wenn ich mich um Glueck scherte? Sonst
noch etwas?
(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng;
sie faehrt ruhig fort:) als dass Sie eine sehr komische Figur in den
Augen Frankreichs abgeben werden.
(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief haelt, faellt
unwillkuerlich herab. Die Dame blickt ihn raetselhaft an und verharrt
in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen
Strom von Schmaehungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie
Ihre Kunststuecke von neuem? Glauben Sie, dass ich nicht weiss, was
diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die
Verstaendigung ueber Beaulieus Rueckzug... er hat ja nur die Wahl
zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickkoepfige Idiot!
Entweder sich in Mantua einschliessen oder die Neutralitaet Venedigs
durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den
Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, dass er verraten wurde,
und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln.
Als wenn ihn das vor mir retten koennte, den alten Narren! Die
andern Papiere enthalten nur meine gewoehnliche Pariser Korrespondenz,
ueber die Sie nichts wissen.
(Dame rasch und geschaeftsmaessig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich
teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione ueber die
oesterreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser
Korrespondenz--das soll mir genuegen.
(Napoleon ganz atemlos ueber die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag
macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame,
dass Sie meine Briefe als Ihr rechtmaessiges Eigentum betrachten, dessen
ich Sie zu berauben versuche!
(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer
Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde.
Dieses Paket enthaelt einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine
Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist,
--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet--
(Napoleon.) Einen Liebesbrief?
(Dame bitter-suess:) Was sonst als ein Liebesbrief koennte so viel Hass
aufruehren?
(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine
Gewalt zu geben--was?
(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nuetzlich sein. Ich
schwoere Ihnen, dass es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben.
Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die
Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren.
(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll
ich damit?
(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl
zurueck:) Ich... weiss es nicht. (Sie bricht zusammen.)
(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die
Papiere zurueckzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt
vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann
nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu luegen verstuende wie Sie,
ich koennte, mir viele Muehe ersparen.
(Dame die Haende ringend:) Oh, wie ich wuenschte, dass ich Ihnen wirklich
bloss eine Luege erzaehlt haette! Dann wuerden Sie mir geglaubt haben!
Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit.
(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine
Marketenderin waere:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine
Haende hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite
gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.)
Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe fuer
Geschichten! Aber ich koennte sie besser erzaehlen als Sie, wenn ich
mir's angelegen sein liesse. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte,
warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem
Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte
nicht lesen wuerde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, dass
ein Ehemann von der oeffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine
Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales
seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstoeren, wenn er all
das verhindern kann, indem er sich huetet, etwas zu wissen?
(Dame empoert:) Und wenn dieses Paket einen Brief ueber Ihre eigene Frau
enthielte?
(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschaemt,
Madame!
(Dame demuetig:) Verzeihen Sie mir--Caesars Frau ist ueber jeden Argwohn
erhaben.
(Napoleon mit wohlerwogener Ueberlegenheit:) Sie haben eine
Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie
sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzufuehren.
(Dame hoeflich eine Rede ueberhoerend, die ihr nur eine Vernachlaessigung
der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:)
Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf
das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir.
(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, dass
sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum?
(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der
Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, dass
der Brief in Ihre Haende falle.
(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt?
(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert.
(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmuetig:)
Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein
treuer, persoenlicher Freund.
(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm
befreundet.
(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner
Frau zu sprechen? (Sie faehrt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne
diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, laesst er seine
hochmuetige Art fallen, die ihm selbst etwas laestig wird, und sagt
argwoehnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so
tief sympathisieren?
(Dame.) Oh, Herr General, wie koennte ich Ihnen das sagen?!
(Napoleon uebellaunig, beginnt er wieder aergerlich verwundert auf und
ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle
gleich!
(Dame entruestet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es
seid! Glauben Sie, dass, wenn ich einen andern Mann liebte, ich
vorgeben wuerde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fuerchten wuerde,
ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht
aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Maenner, indem sie sie
betruegt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr
beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Ruecken gegen ihn.)
(Napoleon sich um sie nicht bekuemmernd:) Barras! Barras! (Wendet
sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie
sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hoeren Sie! Sie koennten zu
weit gehen!
(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie?
(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau?
(Dame begegnet seinem aergerlich forschenden Blick mit ruhiger
Gleichgueltigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit uebergeschlagenen
Beinen sitzen und laesst den rechten Arm leicht auf der Lehne des
Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschoepf, das
einen sehr faehigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch
kennt--der weiss, dass sie ihn ueber ihr Alter, ihr Einkommen, ihre
soziale Stellung, ueber alles, worueber dumme Frauen Luegen erzaehlen,
belogen hat,--der weiss, dass sie unfaehig ist, irgendeinem Prinzip oder
irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu
lieben,--dessen maennlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benuetzen,
um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen.
(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Fluestern:) Das ist Ihre Rache,
Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mussten!
(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst fuer so einen Menschen?
(Napoleon ausser sich, schlingt die Haende auf dem Ruecken ineinander,
seine Finger zucken, und er sagt, waehrend er aufgeregt von ihr fort
zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen!
(Zu ihr:) Gehen Sie!
(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief.
(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den
Weingarten und wieder zurueck an den Tisch.) Sie werden keinen Brief
bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches
Frauenzimmer and haesslich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich
nicht von fremden Weibern belaestigen! Machen Sie, dass Sie fortkommen!
(Er wendet ihr den Ruecken zu. Sie stuetzt ihre Wange in die Hand und
lacht in stillem Vergnuegen ueber ihn. Er wendet sich wieder um, ihr
aergerlich nachahmend:) Hahaha! Worueber lachen Sie?
(Dame.) Ueber Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres
Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich
habe das noch nie zuvor an einem wirklich grossen Manne beobachtet.
(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah!
Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschaemte Schmeichelei!
(Dame springt mit jaehem Erroeten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten
Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande,
und moege sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entruestet
zur inneren Tuere.)
(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurueck! Ich
befehle Ihnen zu bleiben! (Sie missachtet stolz seinen wilden
befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tuer fort. Er springt auf
sie zu, fasst sie beim Handgelenk and zerrt sie zurueck.) Jetzt werden
Sie mir sagen, was Sie meinen... erklaeren Sie sich! Erklaeren Sie,
sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem
Trotz an.) Brr! Sie hartnaeckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine
hoefliche Frage nicht beantworten?
(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich?
Sie haben ja die Erklaerung.
(Napoleon.) Wo?
(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu
lesen. (Er nimmt das Paket auf, zoegert, sieht sie argwoehnisch an und
wirft es wieder hin.)
(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin
vergessen zu haben?
(Dame.) Jetzt laeuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann
nicht ganz.
(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus,
als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie
gerichtet.)
(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden koennten, ihn zu
lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurueck.) Oh, fuerchten Sie sich
nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden.
(Napoleon.) Zum Beispiel?
(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine haeusliche Szene,
einen aufgeloesten Haushalt, einen oeffentlichen Skandal, eine zerstoerte
Karriere--allerlei interessante Dinge--
(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es,
spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an,
nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Ruecken;
seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem
er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen
Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den
Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger
Geringschaetzung. Ploetzlich kommt er wieder zurueck, voll Kraft und
Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfuellen, Madame. Ihr Mut und
Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe,
fuer die Sie so gut gekaempft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran,
dass Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach
der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenueber ebenso grossmuetig
gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich
war. (Er bietet ihr das Paket an.)
(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie
wohl jetzt im Schilde fuehren. (Er wirft das Paket wuetend auf den
Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie
macht ihm eine huebsche, spoettische Verbeugung.)
(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen
und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdraengen.)
(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe
nicht.
(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genuegen.
(Dame den Tisch sorgfaeltig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn
Minuten hatten Sie mich noch nicht ueber alles Ertragen beleidigt.
(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwuergend:) dann bitte ich Sie um
Verzeihung.
(Dame kuehl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Hoeflichkeit
das Paket ueber den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurueck, aus
seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob
die Oesterreicher in Mantua oder in Peschiera stehen?
(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich meine Feinde ohne die
Mithilfe von Spionen zu besiegen weiss, Madame!
(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen?
(Napoleon.) Sie haben gesagt, dass er nicht an mich adressiert ist--ich
habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet
ihr das Paket abermals an.)
(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, dass Sie ihn behalten, gewiss
nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, dass
Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich
kuehl nach der inneren Tuere.)
(Napoleon wirft das Paket aergerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir
Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tuer auf und verstellt
ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn fuer persoenliche Gefahr, oder
gehoeren Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen
zu werden?
(Dame.) Ich danke schoen, Herr General--das muesste zweifellos eine sehr
reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will
einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre
Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurueckbekommen und haben mir
verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswuerdig
wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso grossmuetig gegen
den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes
unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht
ihm freundlich die Hand.)
(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebaerde massloser Wut
zurueckweisend, oeffnet die Tuer und ruft wuetend:) Giuseppe! (Lauter:)
Giuseppe! (Er schlaegt die Tuer zu und kommt in die Mitte des Zimmers.
Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.)
(Giuseppe erscheint an den Tuer:) Exzellenz befehlen?
(Napoleon.) Wo ist der Narr?
(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein
gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu wuerfeln,
um sich die Zeit zu vertreiben.
(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm.
(Giuseppe laeuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon
wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muss Sie bitten,
noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa.
Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des
Zimmers an das Buefett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er
nimmt das Paket vom Sofa und knoepft es langsam und sorgfaeltig in seine
Brusttasche, waehrend er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der
besagen soll, dass sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und
ueber diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt,
bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt
bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne
Muetze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in
viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung waehlt die Seite des
Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis
Napoleon beginnt.)
(Napoleon.) Herr Leutnant!
(Leutnant ermutigend:) Herr General!
(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele
Aufklaerungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darueber, dass
der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu
verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist.
(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General?
(Napoleon.) Sie muessen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem
Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas
--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhaengen, die jene
Depeschen enthalten.
(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als
ob er vorher kaum daran gedacht haette.)
(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, dass ich Sie
in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese
Depeschen nicht wiederfinden.
(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, dass dem Regimente das
wenig Spass machen wird.
(Napoleon.) Persoenlich bedaure ich Sie; ich wuerde die Sache, wenn das
moeglich waere, gerne unterdruecken. Aber ich werde zur Rechenschaft
gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde
der ganzen Welt beweisen muessen, dass ich sie niemals bekommen habe,
was fuer Folgen das auch immer fuer Sie haben mag--es tut mir leid, aber
Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen.
(Leutnant gutmuetig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen,
Herr General, Sie sind wirklich zu guetig. Was mir auch zustossen
sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die
Oesterreicher fuer Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe,
Sie werden nicht darauf bestehen, dass ich ganz umsonst sofort Jagd
nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn
suchen soll.
(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr
Pferd.
(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:)
Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn
es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstoebern, und ich werde
die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe,
und sattle eines von deinen schaebigen alten Postkutschpferden, waehrend
ich meine Muetze, meinen Degen und die uebrigen Sachen hole,--schnell,
marsch! fort mit dir! (Draengt ihn hinaus.)
(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im
Weingarten, den der Sonnenuntergang roetet.)
(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tuer um sich blickend:) Da
faellt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder
nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdriesslich:) Das kommt davon,
wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiss dann nie, wo man
seine sieben Sachen gelassen... (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer.)
(Dame noch vor dem Buefett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General?
(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden.
(Dame.) Selbstverstaendlich nicht; weil ich keinen habe.
(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein.
(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche.
(Napoleon.) Sie werden einsehen, dass es schwerhalten wird, diese
abenteuerliche Behauptung zu beweisen.
(Die Dame faehrt auf; er fuegt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese
Papiere sind verloren.
(Dame aengstlich, an die Ecke des Tisches vorwaertsschreitend:) Und
deshalb soll die Karriere dieses ungluecklichen Menschen geopfert
werden?
(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schiesspulver nicht
wert, das er kosten wuerde, wenn ich ihn niederknallen liesse! (Er
wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den
Ruecken kehrt.)
(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Maenner und Frauen sind Ihnen
nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn
sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn.
(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen
zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen
abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht?
(Dame naiv bekuemmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht
gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht
wahr? Wie haette ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:)
Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen!
(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind!
Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich
hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den
Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer
beschwoerenden Gebaerde, wird aber durch die Rueckkehr des Leutnants
aufgehalten, der mit Handschuhen und Muetze und umguertetem Degen
marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der aeusseren Tuer
zu, als sie ihm in den Weg tritt.)
(Dame.) Herr Leutnant!
(Leutnant wichtig:) Sie duerfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist
Dienst, gnaedige Frau.
(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen
Bruder tun?
(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr?
(Dame.) Ich wuerde sterben, wenn ihm etwas zustiesse--Sie muessen ihn
verschonen! (Der Leutnant schuettelt duester den Kopf.) Ja, ja, Sie
muessen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hoeren Sie mich!
Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn
als Gefangenen in Ihre Haende zu liefern, damit Sie ihn dem General
Bonaparte uebergeben koennen--wollen Sie mir dann als Offizier und
Edelmann bei Ihrer Ehre schwoeren, nicht mit ihm zu kaempfen oder ihn
auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln?
(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, dass er mich angreift... er hat
meine Pistolen!
(Dame.) Dazu ist er viel zu feige.
(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so ueberzeugt--der ist zu
allem faehig.
(Dame.) Fuer den Fall, dass er Sie angreifen oder den leisesten
Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurueck.
(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen.
--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben
mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur uebervorteilen wollen.
Und wie steht es mit meinem Pferd?
(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, dass Sie Ihr Pferd
und Ihre Pistolen zurueckbekommen sollen.
(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre?
(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.)
(Leutnant erfasst sie und haelt sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm
sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr huebsche
Frau. (Er versucht, sie zu kuessen.)
(Dame ihm entschluepfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um
Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht...
(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr
nachsetzend:) Nur einen Kuss!
(Dame zieht sich hinter den Tisch zurueck:) Nicht, bevor Sie Ihre
Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein
Bruder nicht Ihr Gefangener!
(Leutnant verfuehrerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr?
(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er
wird in einer Viertelstunde hier sein.
(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit?
(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er
meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu
ergeben--verstehen Sie jetzt?
(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:)
Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird
schon alles in Ordnung sein.
(Dame.) Und jetzt, waehrend Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie
nicht, dass es besser waere, Sie wuerden mit dem General die Bedingungen
der Uebergabe vereinbaren?
(Leutnant.) Sehen Sie, wie fuerchterlich verwickelt die Sache ist! Was
fuer Bedingungen?
(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, dass er Ihre Soldatenehre
als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen
haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie
verlangen.
(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube,
das werde ich doch versuchen.
(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht
merken, wie gescheit Sie sind.
(Leutnant.) Ich verstehe:--er koennte neidisch werden.
(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als dass Sie entschlossen sind,
meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn.
Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder
vorfuehren...
(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und
ihn auslachen! Nein, was fuer eine gescheite kleine Frau Sie sind!
(Rufend:) Giuseppe!
(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe ueber mich! (sie legt ihren Finger
auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann
aendert sie mit einem entzueckenden Laecheln die Gebaerde dahin, dass sie
ihm einen Kuss zuwirft, und laeuft durch die innere Tuer hinaus.
Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe
kommt durch die aeussere Tuer zurueck.)
(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant.
(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und
sag ihm, dass ich ihn zu sprechen wuensche.
(Giuseppe den Kopf schuettelnd:) Das ist ganz unmoeglich, Herr Leutnant.
(Leututnant.) Warum?
(Giuseppe.) In dieser boesen Welt kann ein General zwar nach einem
Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General
schicken.
(Leutnant.) Ah, du meinst, das wuerde ihm nicht passen. Nun, du hast
vielleicht recht. Man muss in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig
sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten
kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknoepfend, bleich und
voll nagender Gedanken.)
(Giuseppe der sich der Naehe Napoleons nicht bewusst ist:) Sehr richtig,
Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie
die Wirte. Ihr muesst gegen jedermann hoeflich sein.
(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der
Hoeflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr?
(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, dass
ich Ihnen den Burschen stelle--
(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen,
mein Freund!
(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten
Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen uebergeben sollte,
werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die
Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen
lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment laesst sich
gerne dem Gelaechter der andern Regimenter preisgeben.
(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht ueber sein duesteres
Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe,
--alles, was er sagt, ist falsch.
(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann
wird alles, was er sagt, richtig sein.
(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das
Sofa, um den Witz auszukosten.)
(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus
kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt
Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schueler:) Soll ich
dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen?
(Giuseppe schuettelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen,
Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir
einen Mann zu machen.
Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir
machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der
Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im
Notenlesen unterwies. Spaeter wuerde der rekrutierende Korporal einen
Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll groesser gewesen waere,
--aber immer haette das fuer mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu
faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und
wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft fuer die Arbeit und habe
selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt.
(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden?
(Giuseppe in froher Ueberzeugung:) Vollkommen, Exzellenz!
(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag
und Nacht mit Taten und Siegen gefuettert werden muss--der dich mit dem
Schweisse deines Koerpers und deines Gehirnes, mit Wochen von
Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen laesst, der
gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein
Verhaengnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder
eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Koenigreiche der
Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der
Bedingung, dass du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im
Leibe?
(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz,
mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder
Kronen noch Koenigreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu
bekommen--Wuerste, Omeletten, Trauben, Kaese, Polenta, Wein--taeglich
dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genuegen.
(Leutnant.) Hoer' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder
hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich
von dem Gespraeche zurueck. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt
ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rueckt Napoleons Stuhl, den die
Dame zurueckgestossen hat, wieder an seinen richtigen Platz.)
(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:)
Ich hoffe, dass ich nicht ehrgeizige Gefuehle in Ihnen erweckt habe.
(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--ueberdies ist
es besser, dass ich so bleibe wie ich bin. Maenner wie ich werden
gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution passte naemlich
ganz gut fuer Zivilisten, aber fuer die Armee taugt sie nichts. Sie
wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Maenner
von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muss ein Edelmann
sein, weil er mit den Soldaten soviel in Beruehrung kommt; aber ein
General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuss
entnommen werden, wenn er sein Geschaeft gut genug versteht. Ein
Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie,
wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein
Pferd.
(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit fuehrt Sie zu weit,--nehmen Sie
sich in acht!
(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige
Kanonade von einem Flussufer zum andern: die Oesterreicher bombardierten
Sie, um Ihren Uebergang zu verhindern, und Sie bombardierten die
Oesterreicher, um sie davon abzuhalten, dass Sie die Bruecke in Brand
setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich waehrend dieser Zeit gewesen bin?
(Napoleon mit drohender Hoeflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war
in diesem Augenblick zu sehr beschaeftigt.
(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzaehlt sich, dass Sie von
Ihrem Pferde abgesprungen sind und die grossen Kanonen mit eigenen
Haenden abgeprotzt haben, Herr General!
(Leutnant.) Das war ein Missgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu
hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon
sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu
gehen.) Aber Sie koennten noch jetzt ganz zwecklos auf die Oesterreicher
feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden haetten, ueber
den Fluss gesetzt waeren und Sie dadurch unterstuetzt haetten, dass wir
Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie wuerden es nicht gewagt
haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die
Bruecke stuermen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer
gesehen haetten. Deshalb sage ich, dass nur der Entdecker jener Furt
die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie
entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie ueberschritt, und ich weiss
es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Ueberzeugung, waehrend er sich
vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Oesterreicher besiegt.
(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschiessen lassen, weil
Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Muendung einer
Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Massregeln sind
ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbruellend:)
Hoeren Sie! verstehen Sie! (Ein franzoesischer Offizier tritt
unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.)
(Leutnant uneingeschuechtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr
General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn!
(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert ueberhaupt
nicht!
(Der Offizier tritt ploetzlich zwischen sie und spricht mit der
unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr
Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor
Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner
geruehrt, an, reisst sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet
sie wild aus der Naehe, um ihre Identitaet selbst festzustellen, denn es
beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein ueber dem Weingarten
weicht einem hellen Sternenlicht.)
(Napoleon.) Pah! (Er laesst mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand
fahren und wendet ihr duester blickend den Ruecken zu, seine Hand in den
Brustfalten des Waffenrockes.)
(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert
ueberhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo
ist mein Pferd?
(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant.
(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen?
(Dame.) Das wuerden Sie niemals erraten--die sind an dem
unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine
Schwester hier gesehen?
(Leutnant.) Ja! sehr huebsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar
aehnlich, aber natuerlich ist sie viel huebscher.
(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, dass sie eine
gefaehrliche Hexe ist?
(Giuseppe laeuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein!
Es ist gefaehrlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in
meinem Hause nicht dulden, Exzellenz!
(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen
Sie. Selbstverstaendlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es
ist doch kein Ding, mit dem man spassen sollte.
(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester
hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von
Napoleon zurueck.) Herr General, oeffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden
die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch
auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fuehlen... Nun?
(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spoettisch.)
Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie fasst einen Knopf, als
ob sie seinen Rock aufknoepfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.)
(Napoleon unergruendlich:) Wenn Sie es wagen.
(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie oeffnet seinen Rock und nimmt die
Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen
zeigend:) Sehen Sie?
(Giuseppe zur aeusseren Tuer fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind
behext!
(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fuerchten
sich doch nicht vor den Papieren.
(Leutnant zurueckweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des
Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe!
(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstuecke gehoeren Ihnen, Herr General,
nehmen Sie sie!
(Giuseppe.) Beruehren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit
nicht zu schaffen!
(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig!
(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu!
(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen?
(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und
hole ein Licht.
(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, dass ich
allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist...
(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden
mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant.
(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr
General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, dass ich
ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, dass ich allein im
Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen
Unterhaltung... das ist ein bisschen zuviel!--Wuerden Sie selbst so
etwas gerne tun?
(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu
gehorchen?
(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu
verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn
Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschuetzen.
(Napoleon zu Giuseppe:) Du hoerst... Wird dir das genuegen? Macht, dass
ihr fortkommt, alle beide!
(Giuseppe demuetig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen,
Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Tuere.) Der Himmel
schuetze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant!
(Leutnant.) Es waere besser, du gingest voraus--ich weiss den Weg nicht.
(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Ueberdies (flehentlich die
Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie
sind ein Edelmann!
(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche
Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht...
(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die
Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa
und geniesst die Freude, von ihren Unterroecken befreit zu sein.)
(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt!
(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der
Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da
tragen, fuer schicklich?
(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr aehnlich zu sein.
(Napoleon.) Pfui! ich erroete fuer Sie!
(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erroeten so leicht! (Er brummt und
wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer
Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie
verbrennen, General? Sie muessen vor Neugierde sterben. Werfen Sie
einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das
Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.--
(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst
augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu
tun.
(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen.
(Napoleon auffabrend:) Was?!
(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde
dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiss,
was darin steht; aber Sie wissen es nicht.
(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor
zehn Minuten draussen im Weingarten spazieren ging.
(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt!
Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.)
Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige
Ihnen! (Kuesst seine Hand.)
(Napoleon sie rasch zurueckziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug
der Hexerei!
(Dame.) Ich moechte Ihnen etwas sagen--doch Sie wuerden es
missverstehen.
(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern?
(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht
fuerchtet, gemein und selbstsuechtig zu sein.
(Napoleon entruestet:) Ich bin weder gemein noch selbstsuechtig!
(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Ueberdies, ich meine ja
nicht wirklich gemein und selbstsuechtig.
(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht
doch!
(Dame.) Na ja, natuerlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber
was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen.
(Napoleon.) Das klingt schon besser.
(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig,
zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und
lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurueck und taten so, als
ob Sie sie nicht gelesen haetten. Das ist wohl das gemeinste, was ich
jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfuellte gerade Ihren Zweck,
und so haben Sie sich nicht im geringsten geschaemt oder gefuerchtet, es
zu tun.
(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln
aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"?
Ich habe Sie fuer eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war
Ihr Grossvater vielleicht ein Kraemer?
(Dame.) Nein, er war Englaender.
(Napoleon.) Das erklaert alles. Die Englaender sind eine Nation von
Kraemern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben.
(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine
Englaenderin.
(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen.
Hoeren Sie mir zu, ich will Ihnen die Englaender erklaeren.
(Dame erpicht darauf, es sru hoeren:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene
einen intellektuellen Genuss erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und
bereitet sich vor, ihm zuzuhoeren. Seines Publikums sicher, rafft sich
Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er ueberlegt ein bisschen,
bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhoehen.
Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in
der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald
Napoleon Platz, dessen Stimme mit ueberraschender Heftigkeit durch die
Daemmerung bricht.)
(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die
Mittleren und die Grossen. Die Kleinen und die Grossen sind einander in
einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral,
--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Grossen hoch ueber ihr.
Ich fuerchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne
Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Grossen sind
ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor
meinem Willen. Sehen Sie: ich werde ueber all das niedere Volk und
ueber all die Hoefe Europas hinweggehen wie die Pflugschar ueber ein
Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefaehrlich. Sie besitzt
beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das
Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Haenden and Fuessen durch Moral
und Ehrenhaftigkeit gefesselt.
(Dame.) Dann werden Sie die Englaender ueberholen; denn alle Kraemer
gehoeren zur Mittelklasse.
(Napoleon.) Nein! Denn die Englaender sind eine Rasse fuer sich. Kein
Englaender steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug,
um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Englaender kommt mit
einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht.
Wenn der Englaender etwas will, gesteht er sich nie ein, dass er es
will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiss wie--die tiefe
Ueberzeugung erwacht, dass es seine moralische und religioese Pflicht sei,
diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er
unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefaellt, und
schnappt nach dem, wonach ihn geluestet. Wie der Kraemer, verfolgt er
seinen Zweck mit dem Fleiss und der Beharrlichkeit, die von starker,
religioeser Ueberzeugung und dem tiefen Sinn fuer moralische
Verantwortlichkeit herruehren. Er ist nie in Verlegenheit um eine
wirksame, moralische Pose. Als grosser Vorkaempfer der Freiheit und der
nationalen Unabhaengigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz
von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt fuer
seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionaere aus,
die den Wilden das Evangelium des Friedens verkuenden muessen. Die
Wilden toeten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur
Verteidigung des Christentums, kaempft and siegt fuer seinen Glauben und
nimmt als goettliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung
seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt
eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans
Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstoert alles,
was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit,
dass jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuss britischen Boden betritt;
dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum dass sie sechs Jahre
alt sind, an Fabrikherren und laesst sie taeglich sechzehn Stunden
unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei
Revolutionen und erklaert dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung
der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, dass
Sie es einen Englaender nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden
einem Englaender niemals beweisen koennen, dass er im Unrecht ist. Denn
er tut alles aus Grundsatz. Er fuehrt Krieg aus patriotischem
Grundsatz, er betruegt aus geschaeftlichem Grundsatz, er macht freie
Voelker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch
grob aus maennlichem Grundsatz, er haelt treu zu seinem Koenige aus
loyalem Grundsatz und schlaegt seinem Koenige aus republikanischem
Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine
"Pflicht." Und er vergisst nie, dass die Nation verloren ist, die ihre
Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er...
(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich moechte
wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine
Englaenderin machen wollen.
(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach
genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehoerten. Sie haben den
Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu
stehlen--durch Strassenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit
verbracht, mich darueber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, dass
ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir
einreden wollen, dass meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Guete,
Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien.
Das ist englisch!
(Dame.) Unsinn! ich weiss zu gut, wie wenig ich Englaenderin bin. Die
Englaender sind ein sehr dummes Volk.
(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen
sind. Aber ich gebe zu, dass Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen:
obwohl Ihr Grossvater ein Englaender war, war Ihre Grossmutter
wohl--was? Franzoesin?
(Dame.) O nein! Irlaenderin.
(Napoleon rasch:) Irlaenderin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergass--die
Irlaender... Eine englische Armee, gefuehrt von einem irischen General:
die koennte sich messen mit einer franzoesischen Armee, die von einem
italienischen General befehligt wird. (Er haelt inne und fuegt halb
scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich
besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt
besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten
Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine
Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, ueberwaeltigt
von der Schoenheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.)
(Dame sanft:) Wonach blicken Sie?
(Napoleon nach aufwaerts zeigend:) Nach meinem Stern.
(Dame.) Glauben Sie an ihn?
(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie
lehnt sich ein wenig an seine Schulter.)
(Dame.) Wissen Sie, dass man in England sagt, eines Mannes Stern sei
unvollstaendig ohne das Strumpfband einer Frau?[*]
[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den
Hosenbandorden.]
(Napoleon entruestet, schuettelt sie kurz ab und kommt zurueck in das
Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten,
wuerden sie in frommem Schauder abwehrend die Haende erheben. (Er geht
nach der inneren Tuere und haelt sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt
das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Buefett und
rueckt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir
muessen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe
kommt zurueck. Noch bleich und zitternd, traegt er in der einen Hand
einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite
Lichtputzschere in der andern.)
(Giuseppe klaeglich, waehrend er das Licht auf den Tisch stellt:)
Exzellenz, wonach haben Sie eben da draussen ausgeschaut? (Er zeigt
ueber seine Schulter nach dem Weingarten, fuerchtet sich aber,
umherzublicken.)
(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an?
(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und
niemand hat sie fortgehen sehn.
(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet,
wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe,
Sie werden sie nie wiedersehen!
(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.)
(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also!
(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.)
(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewussten Brief haben Sie noch in
Ihrer Tasche. (Er laechelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft
ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon
und sagt:) Caesars Frau betreffend.
(Napoleon.) Caesars Frau ist ueber allen Verdacht erhaben--verbrennen
Sie ihn.
(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und haelt ihn damit an
die Kerzenflamme:) Waere Caesars Frau wohl ueber allen Verdacht erhaben,
wenn sie uns beide hier sitzen saehe--? Wer weiss--?
(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den
Tisch und die Wangen in die Haende gestuetzt, den Brief betrachtend:)
Wer weiss--? (Die fremde Dame legt den angezuendeten Brief auf das
Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung,
die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Haende gestuetzt, und
sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide
gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang
gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.)
Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von
Bernard Shaw.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS ***
This file should be named 7dmds10.txt or 7dmds10.zip
Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7dmds11.txt
VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7dmds10a.txt
Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
We are now trying to release all our eBooks one year in advance
of the official release dates, leaving time for better editing.
Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
even years after the official publication date.
Please note neither this listing nor its contents are final til
midnight of the last day of the month of any such announcement.
The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
preliminary version may often be posted for suggestion, comment
and editing by those who wish to do so.
Most people start at our Web sites at:
http://gutenberg.net or
http://promo.net/pg
These Web sites include award-winning information about Project
Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
Those of you who want to download any eBook before announcement
can get to them as follows, and just download by date. This is
also a good way to get them instantly upon announcement, as the
indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or
ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05
Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
91 or 90
Just search by the first five letters of the filename you want,
as it appears in our Newsletters.
Information about Project Gutenberg (one page)
We produce about two million dollars for each hour we work. The
time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
projected audience is one hundred million readers. If the value
per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
If they reach just 1-2% of the world's population then the total
will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
which is only about 4% of the present number of computer users.
Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
eBooks Year Month
1 1971 July
10 1991 January
100 1994 January
1000 1997 August
1500 1998 October
2000 1999 December
2500 2000 December
3000 2001 November
4000 2001 October/November
6000 2002 December*
9000 2003 November*
10000 2004 January*
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
We need your donations more than ever!
As of February, 2002, contributions are being solicited from people
and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
that have responded.
As the requirements for other states are met, additions to this list
will be made and fund raising will begin in the additional states.
Please feel free to ask to check the status of your state.
In answer to various questions we have received on this:
We are constantly working on finishing the paperwork to legally
request donations in all 50 states. If your state is not listed and
you would like to know if we have added it since the list you have,
just ask.
While we cannot solicit donations from people in states where we are
not yet registered, we know of no prohibition against accepting
donations from donors in these states who approach us with an offer to
donate.
International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
ways.
Donations by check or money order may be sent to:
PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION
809 North 1500 West
Salt Lake City, UT 84116
Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
method other than by check or money order.
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
requirements for other states are met, additions to this list will be
made and fund-raising will begin in the additional states.
We need your donations more than ever!
You can get up to date donation information online at:
http://www.gutenberg.net/donation.html
***
If you can't reach Project Gutenberg,
you can always email directly to:
Michael S. Hart <[email protected]>
Prof. Hart will answer or forward your message.
We would prefer to send you information by email.
**The Legal Small Print**
(Three Pages)
***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers.
They tell us you might sue us if there is something wrong with
your copy of this eBook, even if you got it for free from
someone other than us, and even if what's wrong is not our
fault. So, among other things, this "Small Print!" statement
disclaims most of our liability to you. It also tells you how
you may distribute copies of this eBook if you want to.
*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK
By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm
eBook, you indicate that you understand, agree to and accept
this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive
a refund of the money (if any) you paid for this eBook by
sending a request within 30 days of receiving it to the person
you got it from. If you received this eBook on a physical
medium (such as a disk), you must return it with your request.
ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS
This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks,
is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart
through the Project Gutenberg Association (the "Project").
Among other things, this means that no one owns a United States copyright
on or for this work, so the Project (and you!) can copy and
distribute it in the United States without permission and
without paying copyright royalties. Special rules, set forth
below, apply if you wish to copy and distribute this eBook
under the "PROJECT GUTENBERG" trademark.
Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market
any commercial products without permission.
To create these eBooks, the Project expends considerable
efforts to identify, transcribe and proofread public domain
works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any
medium they may be on may contain "Defects". Among other
things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged
disk or other eBook medium, a computer virus, or computer
codes that damage or cannot be read by your equipment.
LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES
But for the "Right of Replacement or Refund" described below,
[1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may
receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims
all liability to you for damages, costs and expenses, including
legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR
UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT,
INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE
OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE
POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES.
If you discover a Defect in this eBook within 90 days of
receiving it, you can receive a refund of the money (if any)
you paid for it by sending an explanatory note within that
time to the person you received it from. If you received it
on a physical medium, you must return it with your note, and
such person may choose to alternatively give you a replacement
copy. If you received it electronically, such person may
choose to alternatively give you a second opportunity to
receive it electronically.
THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS
TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A
PARTICULAR PURPOSE.
Some states do not allow disclaimers of implied warranties or
the exclusion or limitation of consequential damages, so the
above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you
may have other legal rights.
INDEMNITY
You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation,
and its trustees and agents, and any volunteers associated
with the production and distribution of Project Gutenberg-tm
texts harmless, from all liability, cost and expense, including
legal fees, that arise directly or indirectly from any of the
following that you do or cause: [1] distribution of this eBook,
[2] alteration, modification, or addition to the eBook,
or [3] any Defect.
DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm"
You may distribute copies of this eBook electronically, or by
disk, book or any other medium if you either delete this
"Small Print!" and all other references to Project Gutenberg,
or:
[1] Only give exact copies of it. Among other things, this
requires that you do not remove, alter or modify the
eBook or this "small print!" statement. You may however,
if you wish, distribute this eBook in machine readable
binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
including any form resulting from conversion by word
processing or hypertext software, but only so long as
*EITHER*:
[*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and
does *not* contain characters other than those
intended by the author of the work, although tilde
(~), asterisk (*) and underline (_) characters may
be used to convey punctuation intended by the
author, and additional characters may be used to
indicate hypertext links; OR
[*] The eBook may be readily converted by the reader at
no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent
form by the program that displays the eBook (as is
the case, for instance, with most word processors);
OR
[*] You provide, or agree to also provide on request at
no additional cost, fee or expense, a copy of the
eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC
or other equivalent proprietary form).
[2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this
"Small Print!" statement.
[3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the
gross profits you derive calculated using the method you
already use to calculate your applicable taxes. If you
don't derive profits, no royalty is due. Royalties are
payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation"
the 60 days following each date you prepare (or were
legally required to prepare) your annual (or equivalent
periodic) tax return. Please contact us beforehand to
let us know your plans and to work out the details.
WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO?
Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of
public domain and licensed works that can be freely distributed
in machine readable form.
The Project gratefully accepts contributions of money, time,
public domain materials, or royalty free copyright licenses.
Money should be paid to the:
"Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
If you are interested in contributing scanning equipment or
software or other items, please contact Michael Hart at:
[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by
Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
they hardware or software or any other related product without
express permission.]
*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
Livros Grátis
( http://www.livrosgratis.com.br )
Milhares de Livros para Download:
Baixar livros de Administração
Baixar livros de Agronomia
Baixar livros de Arquitetura
Baixar livros de Artes
Baixar livros de Astronomia
Baixar livros de Biologia Geral
Baixar livros de Ciência da Computação
Baixar livros de Ciência da Informação
Baixar livros de Ciência Política
Baixar livros de Ciências da Saúde
Baixar livros de Comunicação
Baixar livros do Conselho Nacional de Educação - CNE
Baixar livros de Defesa civil
Baixar livros de Direito
Baixar livros de Direitos humanos
Baixar livros de Economia
Baixar livros de Economia Doméstica
Baixar livros de Educação
Baixar livros de Educação - Trânsito
Baixar livros de Educação Física
Baixar livros de Engenharia Aeroespacial
Baixar livros de Farmácia
Baixar livros de Filosofia
Baixar livros de Física
Baixar livros de Geociências
Baixar livros de Geografia
Baixar livros de História
Baixar livros de Línguas
Baixar livros de Literatura
Baixar livros de Literatura de Cordel
Baixar livros de Literatura Infantil
Baixar livros de Matemática
Baixar livros de Medicina
Baixar livros de Medicina Veterinária
Baixar livros de Meio Ambiente
Baixar livros de Meteorologia
Baixar Monografias e TCC
Baixar livros Multidisciplinar
Baixar livros de Música
Baixar livros de Psicologia
Baixar livros de Química
Baixar livros de Saúde Coletiva
Baixar livros de Serviço Social
Baixar livros de Sociologia
Baixar livros de Teologia
Baixar livros de Trabalho
Baixar livros de Turismo