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Der Streit Ueber Die Tragoedie
Theodor Lipps
The Project Gutenberg EBook of Der Streit Ueber Die Tragoedie, by Theodor Lipps
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Title: Der Streit Ueber Die Tragoedie
Author: Theodor Lipps
Release Date: June, 2005 [EBook #8375]
[This file was first posted on July 4, 2003]
Edition: 10
Language: German
Character set encoding: US-ASCII
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER STREIT UEBER DIE TRAGOEDIE
***
E-text prepared by Carlo Traverso, Thomas Berger, and the Online Distributed
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DER STREIT UEBER DIE TRAGOEDIE
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von
THEODOR LIPPS
Professor der Philosophie in Breslau.
Inhalt.
Einleitung.
Die "Resignation" des tragischen Helden.
Die "poetische Gerechtigkeit".
Schuld und "Strafe".
Die "sittliche Weltordnung".
Das Ende der "poetischen Gerechtigkeit".
Die "voruebergehende Schmerzempfindung".
Das Mitleid.
Genaueres ueber die Bedeutung des Leidens.
Die Bestrafung der Boesen und die Macht des Guten.
Zwei Gattungen der Tragoedie.
Tragoedie und ernstes Schauspiel.
Die poetische Motivierung.
Der Untergang des Helden.
Schluss.
EINLEITUNG.
So wenig wie die kuenstlerische Thaetigkeit, ebenso wenig ist auch unser
Kunstgenuss bedingt durch die verstaendesmaessige Einsicht in die Gruende,
auf denen die Wirkung des Kunstwerkes beruht. Und es ist gut, dass es
sich so verhaelt. Waere es anders, aller Kunstgenuss geriete ins Schwanken.
Vor allem duerfte kein tragisches Kunstwerk auf eine sichere und bei
allen gleichartige Wirkung rechnen. So gross ist die Unsicherheit und
Gegensaetzlichkeit der Anschauungen ueber den "Grund unseres Vergnuegens
an tragischen Gegenstaenden."
Die verstandesmaessige Einsicht bedingt nicht den Kunstgenuss. Aber die
_vermeintliche_ Einsicht, die _falsche Theorie_ vermag ihn empfindlich zu
_schaedigen_. Nicht bei solchen, die die Theorie haben, aber klug genug
sind, von ihr angesichts des Kunstwerkes keinen Gebrauch zu machen; die
sich zu Hause an ihrer Theorie der Tragoedie, im Theater an der Tragoedie
erfreuen. Sie schaffen sich nur einen doppelten Genuss. Fuer sie ist die
Theorie ein Luxus, den man ihnen wohl goennen mag. Wohl aber muss die
falsche Theorie Schaden stiften bei denjenigen, die damit praktisch Ernst
machen. Sie suchen, durch die Theorie verleitet, im Kunstwerk, was die
Theorie vorschreibt, und finden natuerlich, was sie suchen. Und sie
uebersehen mit ihrem durch die Theorie missleiteten Blick, was das
Kunstwerk bieten will und bietet.
Vielleicht beruht die falsche Theorie immerhin auf aesthetischem Boden;
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sie ist hervorgegangen aus oberflaechlicher und einseitiger Betrachtung
des Kunstwerkes. Dies ist der bei weitem guenstigere Fall. Schlimmer ist
es, wenn eine der Kunst fremde Theorie, eine Welt- oder Lebensauffassung,
wie sie der "Philosoph" aus der Betrachtung der Wirklichkeit gewonnen
oder in seinen Mussestunden ertraeumt hat, dem Kunstwerk untergeschoben,
und dies zum Mittel gemacht wird, jene Welt- oder Lebensauffassung zu
verkuendigen oder zu bestaetigen.
DIE "RESIGNATION" DES TRAGISCHEN HELDEN.
Es giebt eine Weltanschauung, die, ausgehend von der Betrachtung des
Leides in der Welt, zur Ueberzeugung gelangt, dass es besser waere, die
Welt waere nicht. Das Leid in der Welt fordere eine _Erloesung_. Diese
sei gegeben in der Abkehr vom Leben, der Preisgabe des Daseins, der
"Weltueberwindung" in diesem Sinne. Im Aufhoeren des Daseins, im
Nichtsein also, sei die Disharmonie der Welt in "Harmonie" aufgeloest;
hier sei "Ruhe, Versoehnung, Frieden".
Lassen wir dahingestellt, wie der Verkuendiger dieser "pessimistischen"
Weltanschauung seine Lehre zu beweisen gedenkt. Nur dies interessiert uns
hier einigermassen, wie er die sonderbare Vorstellung rechtfertigen will,
dass das Individuum nach Preisgabe seines Daseins, dass also das nicht mehr
existierende Individuum, doch noch von eben dieser Nichtexistenz etwas
_habe_; dass es, obgleich nicht mehr empfindend, doch sein Nichtsein als
Harmonie, Versoehnung, Ruhe, kurz irgendwie befriedigend empfinde. Denn
die Befriedigung, die ich nicht empfinde, ist ja doch fuer mich keine
Befriedigung, so sehr sie es fuer einen anderen sein mag; Erloesung,
Versoehnung, Harmonie, das alles sind Worte, die auf das nicht mehr
existierende also auch nicht mehr empfindende Individuum angewandt voellig
ihren Sinn verlieren. Was, frage ich, veranlasst den Vertreter jener
Theorie trotzdem mit diesen Worten zu spielen, statt ueberall das so klare
und viel einfachere Wort "Nichts" an die Stelle zu setzen.
Das Spiel ist ja allzuleicht zu durchschauen. Ruhe ist ein doppelsinniges
Wort. Ruhe ist Abwesenheit der Bewegung, Mangel des Lebens, also Tod,
Starrheit, gleichfoermiges Einerlei. Solcher Ruhe "erfreut" sich der Stein
gegenueber der Pflanze, die durch Entziehung der Waerme erstarrte Natur
gegenueber der lebendigen. Ein ander Mal ist "Ruhe" gleichbedeutend mit
"_Ausruhen_". Solches Ausruhen ist nicht Mangel des Lebens, sondern
ungestoerter Ablauf desselben; nicht aufgehobene Bewegung, sondern
ungetruebtes Gleichmass vorhandener Bewegung. Jene Ruhe hat nichts
Erfreuliches; mit Bewegung und Leben ist ja auch das Fuehlen aufgehoben.
Diese schliesst eine eigene und beglueckende Art des Lebens- und
Selbstgefuehls in sich. Nur wenn man mit logischer Taschenspielerkunst
jenem negativen Begriff der Ruhe diesen positiven Begriff unterschiebt,
kann man auch jenen mit scheinbarem positivem Inhalte erfuellen.
Noch schlimmer steht es mit den anderen, an Stelle des "Nichts" gesetzten
Begriffen. Aufgehobene Disharmonie ist nicht ohne weiteres Harmonie, sie
ist an sich bloss nicht vorhandene Disharmonie, Leere, ein Nichts an
Stelle der Disharmonie. Nicht, wo nichts mehr erklingt, sondern wo Klaenge
ungestoert zusammenklingen, ist Harmonie. Und solche Harmonie muss da sein,
wo Disharmonie in Harmonie "_aufgeloest_" werden soll. Ohne die
nachfolgende Harmonie ist die "Aufloesung" ein leeres Wort, eine
sonderbare Erschleichung.--Und nicht anders ist es mit dem "Frieden", der
"Versoehnung". Ich frage, ist es recht, solchen Begriffsbetrug zu ueben?
Oder wie glaubt man dergleichen logischen Leichtsinn verantworten zu
koennen?
Jener "Weltanschauung" aber soll nun auch die Tragoedie zur Bestaetigung
dienen. Wir erfahren: in der Tragoedie vollziehe der Held die Abwendung
vom Dasein und Leben; daraus gewinne der Zuschauer den Trost, dass auch
ihm ein Gleiches zu thun offen stehe. Die Tragoedie erschliesse so dem
Geiste "seine wahre Heimat und die Aussicht auf den stillen Hafen hinter
der sturmbewegten See des Lebens."
Hier haben wir zunaechst neue Worte an Stelle des "Nichts". Schade, dass
sie, so poetisch auch immer, und so wohlgeeignet die Leere des Nichts
gefaellig zu verschleiern, doch auch nicht das Nichts in ein Etwas, wohl
gar in ein beglueckendes Etwas zu verwandeln vermoegen. Man koennte meinen,
trotz der schoenen Worte bleibe der Gedanke an jene Leere vielmehr der
erschrecklichsten einer, und jene "trostreiche" Aussicht sei alles eher
als trostreich.
Doch streiten wir darueber nicht.--Der _Zuschauer_ soll jenen trostreichen
Gedanken haben. Gemeint kann aber doch wohl nur der Zuschauer sein, der
an die pessimistische Lehre glaubt, und auch der nur unter der
Voraussetzung, dass er im Trauerspiel, das ja von allerlei redet, nur
nicht von ihm und seinen persoenlichen und realen Interessen, noch die
Zeit findet, zu diesen Interessen abzuschweifen. Oder wo pflegen
Tragoedien von Zuschauern und ihren Wuenschen und Aussichten zu handeln?
Welche Tragoedie faellt so aus der Rolle?
Ich fuerchte nicht, dass man den Sinn und die Bedeutung dieser Frage
verkenne. Die Fabel mag ausdruecklich enden mit dem "Fabula docet", der
Nutzanwendung, die sich an den Leser oder Hoerer wendet; das Gleichnis mag
sagen: "Gehe hin und thue desgleichen". Und wenn sie es nicht
ausdruecklich thun, so sollen wir doch die Lehre oder Nutzanwendung aus
ihnen ziehen. Beide sind eben Belehrungen in kuenstlerischer Form, nicht
reine Kunstwerke. Dagegen will das reine Kunstwerk nicht belehren, am
wenigsten ueber unsere "Aussichten". Oder was wuerde man sagen, wenn jemand
aus dem Lustspiel, in dem der Held durchs grosse Loos aus materieller Not
befreit wird, den troestlichen Gedanken zoege, dass auch ihm dergleichen
begegnen koenne. Was wuerde man sagen, wenn er uns gar erklaerte, dieser
troestliche Gedanke sei eben der Grund und eigentliche Inhalt seines
Kunstgenusses? Nun, genau dasselbe muss man von demjenigen sagen, der den
Genuss am tragischen Kunstwerk auf irgend welche trostreiche Aussicht
gruendet, die er fuer sich daraus zieht.
Das darstellende Kunstwerk will wirken durch das, was es darstellt, durch
die Gestalten, die es uns vorfuehrt, und das, was diese Gestalten
innerhalb des Kunstwerkes,--nicht irgend jemand sonst, am wenigsten wir
selbst, _ausserhalb_ desselben,--sind und denken, thun und erleiden. In
die Gestalten, in ihr Denken, Thun und Leiden sollen wir uns in unserer
Phantasie hineinversetzen und unser reales Ich mit seinen Wuenschen und
Aussichten, und damit zugleich die ganze sonstige Welt der Wirklichkeit
nicht hineinmengen, sondern vergessen. Die Welt des darstellenden
Kunstwerkes ist nicht eine wirkliche, sondern eben eine dargestellte;
eine Welt der blossen Vorstellung, der Phantasie, des Scheins. Sie ist
jedesmal eine Welt fuer sich, von der Welt, in der wir existieren, durch
eine absolute Kluft getrennt. Diese Welt und sie allein geht uns an, wenn
wir uns dem Kunstwerk hingeben; aus ihr allein koennen wir schoepfen, was
wir aus dem Kunstwerke schoepfen wollen.
Es besteht aber gerade das Besondere des darstellenden Kunstwerkes,
dasjenige, was es vor dem Schoenen der Wirklichkeit jederzeit voraus hat,
darin, dass es eine solche Welt fuer sich bildet, aller wirklichen Welt
transcendent, voellig losgeloest von unseren Wirklichkeitsinteressen; es
ist das Auszeichnende des Genusses am darstellenden Kunstwerke, dass das
Schoene in ihm zur Geltung kommt und wirkt, wie es an sich ist, genossen
wird in dem Werte, den es an sich hat, nur verflochten in die
Beziehungen, in die es im Kunstwerke verflochten erscheint.
Dagegen hebt jede Einmischung eines Gedankens, der sich auf das bezieht,
was ausserhalb des Kunstwerkes liegt, jede Herzubringung eines Interesses
ausser dem Interesse am Kunstwerk selbst und seinem Inhalte das
eigentliche Wesen des Kunstwerkes auf. Die Vermengung ist nicht klueger
als die von Traum und Wirklichkeit, der Versuch vor allem, "trostreiche"
Gedanken fuer die Wirklichkeit aus dem Kunstwerke zu ziehen, nicht
geistreicher als der Versuch, das Kapital, das man im Traume gewonnen, im
wachen Leben auf Zinsen zu legen.
Doch weiter. Aus gewissen _Bedingungen_ folgt jedesmal in der Tragoedie
das Preisgeben des Daseins seitens des Helden. Er wendet sich vom
Leben--wenn er es thut--nicht auf Grund einer philosophischen Reflexion
ueber die Vortrefflichkeit der Nichtexistenz, sondern weil ein grosses
Leid, ein unloesbarer Konflikt ueber ihn hereingebrochen ist. Warum dies?
Man sagt uns, der Held muesse durch die Unloesbarkeit des Konfliktes erst
dazu gebracht werden, die Welt zu ueberwinden, die instinktive Todesfurcht
abzuschuetteln, das Nichtsein begehrenswert zu finden. Wie ihm das Leiden,
so solle uns der Anblick des Leidens die Vortrefflichkeit des Nichtseins
im Vergleich zu den Leiden des Daseins zum Bewusstsein bringen. Auch sei
die Preisgabe des Lebens fuer den Helden erst auf Grund der Unloesbarkeit
des Konfliktes _verzeihlich_. Denn von Hause aus habe der Einzelne die
Pflicht sich dem Leben und seinen Aufgaben zu erhalten, obgleich diese
Aufgaben zuletzt auf nichts anderes hinauslaufen, als darauf, auch die
uebrige Welt zur Abkehr vom Leben reif zu machen.
Aber ist damit nicht die ganze "troestliche Aussicht" wiederum illusorisch
gemacht? Angenommen der Held entschloesse sich zur Preisgabe des Daseins
_ohne_ besondere Veranlassung, etwa unter Recitation einiger
"Lichtstrahlen" aus pessimistischen Werken. Dann koennten wir vielleicht
aus seinem Verhalten die troestliche Zuversicht gewinnen, dass auch uns,
denen einstweilen die besondere Veranlassung fehlt, ein gleiches
Verhalten moeglich sei. Wie aber, wenn das Gegenteil dieser Annahme
stattfindet?
Dass die Veranlassung zur Preisgabe des Daseins beim Helden der Tragoedie
eine besondere, dass die Bedingungen seines Unterganges ausserordentliche
zu sein pflegen, das tut ja doch wohl keine Frage. Man hat sogar diese
Besonderheit oder Ausserordentlichkeit ueber Gebuehr gesteigert. Der
tragische Konflikt, sagte man, setze jederzeit eine "Ueberhebung" seitens
des Helden voraus. Dies bezweifle ich. Ich wuesste wenigstens nicht, worin
die Ueberhebung einer EMILIA GALOTTI bestehen sollte. Aber lassen wir
diesen Punkt hier noch unentschieden. Uns genuegt, dass unter Voraussetzung
gewisser, nicht alltaeglicher Bedingungen, und nur unter Voraussetzung
derselben, der tragische Held sich vom Leben abzuwenden pflegt.
Diese Bedingungen muessen gewiss, so wenig alltaeglich immer, moegliche und
naturgemaesse, sie muessen "_normale_" Bedingungen sein. Ob sie dagegen
irgend einmal wirklich waren, oder groessere oder geringere Aussicht haben,
wirklich zu werden, hat wiederum mit dem Kunstwerke nichts zu thun.
Angenommen aber, wir koennen es nun einmal nicht lassen, in die
Phantasiewelt des Kunstwerkes die wirkliche Welt hineinzumengen,
insbesondere Nutzanwendungen auf uns selbst zu machen. Dann ist zum
mindesten gefordert, dass die Nutzanwendung dem entspreche, woraus sie
gezogen ist. Nun liegt im Gedanken, dass wir koennen, was der Held kann,
ein Vergleich des Helden mit uns. Dieser Vergleich hat, wie bei
Vergleichen ueblich, auch seine Kehrseite. Der unloesbare Konflikt besteht
jetzt fuer uns nicht. Wir muessen auch die Moeglichkeit, bzw. die groessere
oder geringere Wahrscheinlichkeit zugeben, dass die Bedingungen, die ihn
notwendig herbeifuehren, fuer uns nicht eintreten werden. Natuerlich muss
dieser Gedanke unsere "troestliche Zuversicht" stoeren. Die Moeglichkeit
oder Wahrscheinlichkeit, dass wir nie in eine Lage kommen werden, in der
die Abwendung vom Leben auch fuer uns unvermeidlich und darum verzeihlich
waere, die uns zugleich von der "instinktiven Todesfurcht" befreite, so
dass wir das Nichtsein dem Dasein auch praktisch vorziehen koennten, diese
Moeglichkeit oder Wahrscheinlichkeit muss uns sogar mit umso groesserem
Schmerz und Neid erfuellen, je troestlicher jene "troestliche Aussicht"
fuer uns sein wuerde.
Daran aendert auch die Behauptung nichts, dass in jedem Menschen Konflikte
"ruhen", die ihrer Natur nach unversoehnlich sind, und dass es nur der
Zufaelligkeit der Verhaeltnisse zu danken sei, wenn sie nicht zum Ausbruch
kommen. Denn die ruhenden, nicht aufgebrochenen Konflikte, das sind eben
doch Konflikte, die thatsaechlich nicht bestehen. Vielleicht brechen sie
einmal aus. Aber die Unsicherheit, ob sie ausbrechen werden, ob wir also
Aussicht haben, es dem Helden einmal nachmachen zu koennen oder nicht, das
Hangen und Bangen zwischen dieser Aussicht und der gaenzlichen
Aussichtslosigkeit muss uns in einen Zustand marternder Unruhe versetzen,
der erst recht das Gegenteil ist von der erhebenden Wirkung des
tragischen Kunstwerks.
Lassen wir auch diesen Punkt. Wenn wenigstens die Voraussetzung dieser
wunderbaren Theorie zutraefe; wenn wenigstens der Held der Tragoedie
wirklich ueberall resigniert vom Leben sich abkehrte. Thatsaechlich ist ja
auch dies nicht der Fall. Oder wo ist in ANTIGONEs herzzerreissender
Klage, dass sie das Leben verlassen muesse, diese Abkehr? Wo ist die
Resignation, das Abschuetteln der Todesfurcht, das Wegwerfen des Daseins
als eitel und wertlos? Was kann es auch nur fuer einen Sinn haben, von ihr
zu behaupten, dass sie das Nichtsein den Leiden des Daseins vorziehe, da
ja bei ihr vielmehr das ganze Leiden in der bitteren Notwendigkeit des
Sterbens _besteht_?--Wo finden wir die Resignation selbst bei einem
MACBETH oder RICHARD III.?
Freilich, dass solche Ausnahmen sich finden, dass nicht in allen Tragoedien
der Held zur Resignation gelange, dies wird ausdruecklich zugestanden. Die
Resignation, sagt man uns, bleibe eben in solchen Faellen der Reflexion
des Zuschauers ueberlassen. Aber damit ist doch wohl zugleich ausdruecklich
zugestanden, dass die troestliche Aussicht, in welcher der eigentliche Sinn
der Tragoedie bestehen sollte, ganz ausserhalb des Kunstwerkes steht, und
lediglich dem Zuschauer zur Last faellt, der den Dichter ergaenzt oder
korrigiert, wie es ihm eben beliebt. Giebt die thatsaechliche Resignation
des Helden uns das Bewusstsein, dass wir unter gleichen Umstaenden
derselben Resignation faehig sein wuerden, dann muss ebenso sicher der
Mangel der Resignation, der ja auch im Kunstwerk wohl motiviert ist, die
Ueberzeugung in uns wecken, dass wir unter gleichen Umstaenden ebenso
unresigniert sein wuerden. Gewinnen wir trotzdem auch im letzteren Falle
die Zuversicht unserer eigenen Resignationsfaehigkeit, so gelangen wir dazu
auf unsere eigenen Kosten und dem Kunstwerk zum Trotz. Wir koennen dann
ebensowohl aus jeder beliebigen Komoedie die gleiche Zuversicht schoepfen.
Das Kunstwerk ist schliesslich gaenzlich gleichgiltig geworden.
"Reflexionen" koennen wir ja jederzeit anstellen, welche wir wollen.
Fassen wir alles zusammen, so leuchtet ein, worin fuer die Theorie in
Wahrheit der Genuss des tragischen Kunstwerkes besteht. Man geht ins
Theater, um sich seiner gluecklich gewonnenen Weltanschauung zu freuen.
Stimmt damit das aufgefuehrte Stueck ueberein oder laesst es sich so
umdeuten, dass es damit uebereinzustimmen scheint, dann freut man sich
auch an dieser wirklichen oder vermeintlichen _Uebereinstimmung_. Will
das Stueck sich durchaus nicht der Weltanschauung fuegen, nun, dann
laesst man das Kunstwerk Kunstwerk sein und begnuegt sich mit der Freude
an seiner eigenen Weisheit.
Das tragische Kunstwerk ist eben, so wenig wie irgendwelches Kunstwerk,
dazu da Weltanschauungen zu predigen oder zu bestaetigen, pessimistische
so wenig wie optimistische. "Aber der Dichter muss doch irgend eine
Weltanschauung haben, und die muss in seinem Werke zu Tage treten. Und nur
der wird das Kunstwerk recht verstehen, der sich auf den Boden dieser
Weltanschauung stellt."--Ich frage: Warum dies alles? Mag der Dichter als
Mensch, sozusagen fuer seinen Privatgebrauch eine Weltanschauung haben.
Als Dichter bedarf er keiner solchen, es sei denn, dass es ihm darauf
ankommt in seinen Gestalten einen Kampf der Weltanschauungen zur
Darstellung zu bringen. Im uebrigen wird er sogar gut thun, seine
Weltanschauung moeglichst fuer sich zu behalten. Was er in jedem Falle
braucht, ist Kenntnis der Welt und des in ihr Moeglichen; Verstaendnis fuer
das, was in der Welt ist und auf das menschliche Gemuet zu wirken vermag;
Beherrschung der Sprache, in der die Erscheinungen in der Welt ihren Sinn
und Inhalt zu offenbaren pflegen. Will man dies Weltanschauung nennen, so
ist es doch nicht Weltanschauung in dem hier vorausgesetzten
philosophischen Sinne des Wortes.
So haben denn auch grosse Dichter keine oder eine sehr schwankende
"Weltanschauung" gehabt, und hatten sie eine, so hueteten sie sich das
Kunstwerk zur Darlegung und Anpreisung dieser Weltanschauung zu
missbrauchen.
Nur in einem Sinne, ausser dem eben zugestandenen, muss der Dichter und
jeder Kuenstler als solcher Weltanschauung haben und geben, wenn naemlich
unter "Welt" die Welt des Kunstwerkes verstanden wird. Diese Welt ist
seine Welt und diese Welt allerdings muss ihm, indem er sie schafft,
Gegenstand einer klaren, einheitlichen und von innerer Wahrheit erfuellten
Anschauung sein. Eben diese "Weltanschauung" soll dann gewiss auch der
Betrachter gewinnen.
DIE "POETISCHE GERECHTIGKEIT".
Ich sagte schon, dass das tragische Kunstwerk, wie keine pessimistische,
so auch keine _optimistische_ Weltanschauung predige. Es hat mit beiden
gleich viel oder gleich wenig zu thun. Es giebt aber eine Theorie der
Tragoedie, die optimistisch genannt werden kann, auch wohl sich selbst so
nennt und die das tragische Kunstwerk, wenngleich in anderer Weise, darum
doch nicht minder verfaelscht als die besprochene pessimistische. Die
gemeinte Theorie fordert, dass das Uebel, das dem Helden widerfaehrt,
insbesondere sein schliesslicher Untergang, als "Strafe" des Boesen, als
"Suehne" fuer eine "Verschuldung" erscheine. Sie kennt eine ueberall in der
Tragoedie waltende "poetische Gerechtigkeit". Dass es eine solche
Gerechtigkeit in der Welt gebe, dass alle Schuld sich auf Erden raeche,
dies soll der erhebende Gedanke sein, den das Trauerspiel vergegenwaertige
und in dessen Vergegenwaertigung sein eigentlicher Sinn bestehe.
Wir fragen zunaechst: _Besteht_ denn, wirklich jene Gerechtigkeit in der
Welt, raecht sich wirklich alle Schuld auf Erden? Soviel wir wissen,
nicht. Schuldige und Unschuldige gehen unter: Unschuldige und Schuldige
bleiben erhalten und freuen sich ihres Daseins. Die Besten empfinden mit
tiefem, vielleicht vernichtendem Schmerze, was die Boesen, die
Oberflaechlichen, die sittlich Stumpfen gleichgiltig oder mit laechelndem
Achselzucken ansehen. Darnach ist es ein unwahrer Gedanke, den die
Tragoedie vergegenwaertigt oder es ist unwahr, dass ihn die Tragoedie
vergegenwaertigt.
Die Tragoedie vergegenwaertigt den Gedanken nicht. Die Tragoedie
vergegenwaertigt ueberhaupt keine allgemeine Gedanken. Sie vergegenwaertigt
nur sich selbst. MACBETHs, RICHARDs III. Schuld raecht sich; vielleicht,
obgleich wir dies einstweilen bezweifeln, auch die der ANTIGONE,
CORDELIA, OPHELIA. Aber diese Gestalten gehoeren, soviel ich sehe, nicht
der "Erde" an, sondern der Tragoedie; nicht auf Erden, sondern in der Welt
der Phantasie, in der wir leben, wenn wir die Gestalten sehen, raecht sich
ihre Schuld. Und dass sie sich raecht, das ist kein Gedanke, sondern eine
Thatsache, die wir vor unseren Augen erleben. Nicht dazu ist die Tragoedie
da, damit wir Gedanken vollziehen, sondern damit wir etwas erleben und
davon ergriffen sind.
Doch damit ist die Theorie nicht beseitigt. Den "Gedanken" sind wir los
und damit die "Weltanschauung", die in dem Glauben an jenen Gedanken
besteht, und damit ist viel gewonnen. Aber das Erlebnis, der einzelne
Fall der poetischen Gerechtigkeit, den uns die Tragoedie vorfuehrt, bleibt
bestehen oder scheint bestehen zu bleiben. Und damit bliebe fuer uns das
Wesentliche. Mag der "Gedanke" oder die "Weltanschauung" wahr sein oder
falsch, uns genuegte der einzelne Fall, wie er auf der Buehne uns
entgegentritt. In der Welt der Wirklichkeit braucht ein solcher Fall nur
_moeglich_ zu sein. Ist er zugleich auf der Buehne wirklich und beruht
darauf die Wirkung der Tragoedie, so hoert unser weiterer Widerspruch gegen
die Theorie auf.
Aber hier draengt sich sofort ein anderer naheliegender Einwand auf. Es
giebt ausser der Tragoedie andere tragische Kunstwerke. Man sollte meinen,
was den Sinn der Tragoedie ausmache, muesse in irgend einer Weise auch in
sonstigen tragischen Kunstwerken vergegenwaertigt sein. Wiefern aber
leidet der LAOKOON des plastischen Bildwerks zur Strafe fuer eine Schuld?
Wo ist da die poetische, oder wie es hier wohl heissen muesste,
"plastische" Gerechtigkeit? Ich sehe das Leiden deutlich genug, aber woran
sehe ich, dass ihm eine Schuld voranging? Der LAOKOON des _Dichters_ mag
fuer eine Schuld leiden, obgleich ich nicht weiss, worin sie bestehen
sollte. Aber der LAOKOON des Dichters ist nun einmal nicht der plastische.
Dieser Thatbestand fuer sich allein haette genuegen muessen, die Schuld-
und Straftheorie, oder die Theorie der "poetischen Gerechtigkeit" zu Falle
zu bringen. Doch so eingewurzelte Theorien sind nicht so leicht zu faellen.
Vielleicht hilft man sich mit der Bemerkung, die gemeinsame Bezeichnung
plastischer und dramatischer Kunstwerke als tragischer sei voellig
zufaellig, beweise darum in der That nichts fuer irgendwelche
Uebereinstimmung in den Gruenden ihrer Wirkung.
So fassen wir lieber die Tragoedie direkt ins Auge. Der tragische Held
soll leiden zur Strafe fuer eine Schuld. Diese Behauptung noetigt die
Vertreter unserer Theorie, ueberall an den tragischen Helden eine "Schuld"
aufzusuchen. Es gelingt ihnen denn auch ueberall etwas zu finden, dem sie
diesen Namen glauben geben zu duerfen. ANTIGONE erhebt sich gegen den
Traeger der socialen Ordnung; DESDEMONA versuendigt sich gegen die
vaeterliche Autoritaet, sie macht keinen Versuch, BRABANTIO durch Bitten
und Thraenen zur Einwilligung zu bewegen; und nun gar der Leichtsinn, das
Taschentuch zu verlieren!--EMILIA GALOTTI hat keine tatsaechliche, aber
eine "Gedankenschuld" auf sich geladen.--So sehen wir, kein Unschuldiger,
nur Schuldige werden vom tragischen Geschick ereilt.
Man wird nicht umhin koennen, den Scharfsinn zu bewundern, der zu solchen
Schuldbeweisen aufgeboten worden ist. Im uebrigen gewaehren sie ein wenig
erfreuliches Schauspiel. Als ob es nicht genug waere, dass der Dichter
seine Helden leiden laesst, werden sie nun auch noch von den Aesthetikern
misshandelt. Man zwingt sie erbarmungslos auf die Anklagebank, um alles an
ihnen hervorzukehren, das Innerlichste und Aeusserlichste, das was sie
gethan und das was sie, zwar nicht gegen ihre eigene, aber gegen des
Aesthetikers bessere Einsicht unterlassen haben, Fehler, von denen Dichter
und Kunstwerk wissen, und solche, von denen beide nichts wissen. Nachdem
so das Verborgenste ans Licht gezogen ist, "plaediert" man fuer und wider.
Wo der eine eine kleine Schuld findet, wittert der andere eine grosse; wo
der eine milde gestimmt ist, redet sich ein anderer in Entruestung hinein.
Alle aber stimmen sie schliesslich in das Schuldig ein: "Was brauchen wir
weiter Zeugnis? Weg mit ihnen."
Was aber will man denn eigentlich mit dem allem? Darum handelt es sich ja
doch nicht, ob die tragische Persoenlichkeit ueberhaupt "unschuldig" ist,
so unschuldig, dass auch derjenige, der seiner Theorie zuliebe einen Tadel
an ihr finden muss und will, keinen zu finden vermag. Wir sind allzumal
Suender, und die etwa ausgenommen sind, die neugeborenen Kinder oder die
Heiligen des Himmels, wird man gewiss auch in Zukunft nicht zu Helden von
Tragoedien machen. Nur das kann doch die Frage sein, ob der Held eine
Schuld auf sich geladen hat, fuer die das Leiden, das ihn trifft, als
gerechte _Strafe_ erscheint, eine Schuld, die nur mit _Vernichtung
gesuehnt_ werden kann. Und dies wiederum nicht nach einem Massstabe, den
wir speciell fuer die Tragoedie zurecht schneiden moegen, sondern nach
demjenigen, den unser natuerliches sittliches Gefuehl uns an die Hand
giebt.
Reden wir ganz speziell. Hat ein Weib, das ganz erfuellt von reinster
Bruderliebe, die heiligste Verpflichtung, die ihr diese Bruderliebe
auferlegt, festhaelt, trotz der Drohungen eines Tyrannen, angesichts der
Notwendigkeit elend dahinzusterben, kurz, hat ein Weib, das ebenso
handelt wie ANTIGONE, und aus ebensolcher Gesinnung, durch dies Handeln
und durch diese Gesinnung den Tod verdient, nicht irgend einen, sondern
den grausamen und schmachvollen, wie ihn ANTIGONE erleidet? Ist sie durch
unser natuerliches Gefuehl gerichtet, als eine, die nicht verdient,
weiterzuleben? Haben wir, wenn sie ihrem schrecklichen Schicksal
verfaellt, das Bewusstsein, ihr sei recht geschehen und weiter nichts, und
ist es dieses Bewusstsein, ist es dies befriedigte "Gerechtigkeitsgefuehl",
aus dem wir den erhabenen Genuss schoepfen, den uns die Tragoedie gewaehrt?
Man rede nicht von einem hoeheren sittlichen Standpunkte gegenueber dem
Kunstwerk. Reiner allerdings ist der Standpunkt, wir stehen nirgends auf
einem reineren sittlichen Standpunkt als gegenueber dem tragischen
Kunstwerk. Aber er ist reiner, nicht weil er dem natuerlichen Gefuehl Hohn
spricht, sondern sofern er eben dies Gefuehl unbeeinflusst durch
Ruecksichten, wie sie der Zusammenhang der Wirklichkeit mit sich bringt,
zur Geltung kommen laesst.
SCHULD UND "STRAFE".
Doch urteilen wir nicht zu schnell. Sehen wir der Theorie etwas naeher ins
Gesicht. Worin denn soll jener "hoehere" Standpunkt bestehen? Ist er ein
hoeherer, weil er ein strengerer ist, der misst nicht nach menschlichem
Massstabe, sondern nach dem Massstabe sittlicher Vollkommenheit? Von
sittlicher Vollkommenheit allerdings bleibt ja alle menschliche Tugend
weit entfernt. Vielleicht sieht ein vollkommenes Wesen, sieht die
Gottheit die besten der Menschen so weit von sich entfernt, dass das Gute,
das an ihnen ist, ihr unendlich klein erscheint. Besteht es darum fuer sie
gar nicht mehr? Darf sie es voellig fuer nichts achten?
Doch was reden wir? Sind denn wir die Gottheit? Koennen wir denn einen
anderen Massstab haben als den menschlichen? Ist der Dichter nicht Mensch
und wendet sich an Menschen?
Lassen wir uns aber jenen hoeheren Standpunkt einen Augenblick gefallen.
Die besten der tragischen Helden seien trotz ihres guten Wollens so
nichtswuerdig, als es von jenem hoeheren Standpunkt irgend scheinen mag.
Muessen sie darum vernichtet werden? Gewiss wird einem absolut vollkommenen
Willen jede Unvollkommenheit, jeder Mangel, jedes Boese widerstreben. Er
wird demgemaess das Boese ueberall aufzuheben und zu vernichten streben.
Aber heisst dies, er wird die _Menschen_ vernichten? Sind denn die Menschen
die Unvollkommenheit, der Mangel, das Boese? Sind sie das Nichtseinsollende,
weil das Nichtseinsollende ihnen anhaftet? So gewiss nur das, was am
Menschen boese ist, oder der Mensch, sofern er boese ist, dem vollkommenen
Willen widerspricht, so gewiss kann die Gegenwirkung dieses Willens nur
gegen dies Boese gerichtet sein, nicht gegen das Ganze des Menschen. Der
vollkommene Wille kann nicht seinen Zorn von dem Boesen auf das ganze
Wesen uebertragen und so mit dem Boesen auch das, sei es noch so geringe
Gute, oder den Keim des Guten, der im Menschen wohnt, zugleich vernichten
wollen. Dies Gute muss er lieben und zu erhalten streben, so gewiss er das
Boese hasst und aufzuheben strebt. Moegen wir vermoege eines natuerlichen
Irrtums unseres Empfindens Menschen hassen, statt das Boese in ihnen zu
hassen, dem vollkommenen sittlichen Willen liegt solcher Irrtum fern.
Welche Bedeutung duerfen wir dann noch der Strafe beimessen?--Strafe ist
nicht _unmittelbar_ Aufhebung oder Verneinung _des Boesen_. Sie ist
Verhaengung eines Uebels ueber die _Person_, stoerender oder vernichtender
Eingriff in den Bestand der Persoenlichkeit, der diese oder jene Seite der
Persoenlichkeit treffen kann. Dies hindert doch nicht, dass ihr ganzes
_sittliches Wesen_ einzig in jener Reaktion des sittlichen Willens,--wenn
ein sittlich vollkommener Wille als der Strafende gedacht wird, in der
Reaktion dieses sittlich vollkommenen Willens--gegen _das Boese_ bestehen
kann. Das Boese aber ist einzig im Innern der Persoenlichkeit als deren
boeser Wille. Darnach hat die Strafe ihre sittliche Bedeutung, nicht
sofern sie in die Persoenlichkeit ueberhaupt stoerend und vernichtend
eingreift, sondern lediglich sofern dadurch der boese Wille getroffen,
gebrochen, vernichtet wird. Die Strafe verfehlt ihren sittlichen Zweck,
sie ist nicht Strafe, so sehr sie es nach der Absicht des Strafenden sein
mag, wenn nicht in dem Gestraften das Bewusstsein entsteht, dass er
gestraft und mit Recht gestraft sei, wenn ihm nicht in der Strafe die
Nichtigkeit seines boesen Wollens und die sittliche Uebermacht _des_
Willens, der die Strafe verhaengt, zum Bewusstsein kommt. Sie verdient
ihren Namen nur soweit dies der Fall ist.
Wie nun, so frage ich, steht es hiermit bei ANTIGONE, EMILIA GALOTTI,
MARIA STUART und so vielen anderen? Erkennen sie die "Strafe", die ihnen
angeblich zu teil wird, als solche an? Beugen sie sich, wenn auch
widerstrebend, vor der sittlichen Uebermacht dessen, der sie straft? Ist
ihnen ueberhaupt die Macht, der sie unterliegen, eine sittliche?--Das
Gegenteil ist der Fall. Also ist ihre "Strafe" thatsaechlich keine Strafe.
Die Wirkung in ihrem Innern, die allein der strafende sittliche
Wille--wenn ihnen ein solcher gegenuebersteht--wollen kann, bleibt
unerreicht.--Damit haben auch wir die sittliche Befriedigung, die uns die
Strafe gewaehren soll, nicht gewonnen. Denn auch unser sittliches
Bewusstsein, wenn es nicht vielmehr sittliche Verblendung ist, kann nur
durch das Boese am Menschen verletzt, also auch nur dadurch befriedigt
oder wiederhergestellt werden, dass dies Boese, dass das boese Wollen des
Menschen durch die Strafe getroffen, und wenn es moeglich ist, aufgehoben
wird.
Doch es scheint, wir haben hier noch eine Moeglichkeit ausser Acht
gelassen. Noch in anderer, als der eben bezeichneten Weise kann die
"Strafe" sittliche Bedeutung haben: Sie wendet sich nicht gegen das boese
Wollen in dem "Gestraften", sondern gegen das Boese oder Nichtseinsollende
in der sonstigen Welt. Sie schreckt ab oder sie ermoeglicht die
Verwirklichung eines hoeheren, ueber die einzelne Persoenlichkeit
hinausgehenden sittlichen Zwecks.
Zunaechst nun verdient auch diese "Strafe" den Namen Strafe nicht
mehr.--Sollte die Schuld- und Straftheorie dennoch diesen Strafbegriff im
Auge haben? Wer sind dann die Abgeschreckten? Wir, die Zuschauer? Werden
wir bei manchen tragischen Helden nicht vielmehr wuenschen, es ihnen an
sittlicher Staerke und edler Leidenschaft gleichthun zu koennen? Oder wenn
wir von dem abgeschreckt werden, was an ihrem Thun unvollkommen ist,
werden wir dann nicht auch vor dem, was daran edel ist, zurueckschrecken
muessen, da doch ihr Thun als Ganzes die "Strafe" zur Folge hat?--Und
welches sind die "hoeheren sittlichen Zwecke", deren Verwirklichung durch
die Bestrafung der Helden ermoeglicht wird?
Vergessen wir aber bei solchen Fragen eines nicht. Von der erhebenden
Wirkung der _Tragoedie_ ist hier die Rede. Soweit die Strafe als Mittel
der Abschreckung oder der Verwirklichung hoeherer sittlicher Zwecke an
dieser Wirkung teil haben soll, muss beides, die Abschreckung und die
Verwirklichung hoeherer Zwecke, in der _Tragoedie_ uns entgegentreten. Wo
aber findet dergleichen statt? RICHARDs III. Fall fuehrt eine gluecklichere
Zeit herbei. Aber gerade diese Wendung der Dinge gehoert nicht mehr zur
Tragoedie als solcher. Und wie steht es in der Hinsicht mit den oben
erwaehnten Tragoedien?
So kann uns jener "hoehere", weil "strengere" moralische Standpunkt von
unserem Widerspruche gegen die Schuldtheorie oder die Theorie der
poetischen Gerechtigkeit nicht bekehren.
DIE "SITTLICHE WELTORDNUNG".
Es giebt aber einen anderen, nicht nur strengeren, sondern umfassenderen
oder weitsichtigeren und _darum_ "hoeheren" Standpunkt, der jene Theorie
zu rechtfertigen scheinen koennte. Suchen wir uns auch diesen Standpunkt
verstaendlich zu machen.
Von Natur, so etwa koennte der Vertreter dieses Standpunktes sich
vernehmen lassen, sind wir geneigt, unser sittliches Urteil zunaechst auf
das Einzelne und das Individuum zu beziehen. Indem wir uns als
Persoenlichkeit fuehlen und uns das Recht unserer Persoenlichkeit
zuschreiben, koennen wir nicht umhin, auch anderen das Recht ihrer
Persoenlichkeit zuzuerkennen. Das Individuum, meinen wir, duerfe sich als
solches bethaetigen und sein Wollen, sofern es ein an sich gutes sei,
behaupten, auch gegen die Schranken, die ihm die objektive Welt
entgegenstellt, und in leidenschaftlichem Kampfe gegen dieselben. Nicht
ihm, sondern der unvollkommenen Wirklichkeit falle die Schuld zu, wenn
das Individuum mit seinem guten Wollen in diesem Kampfe untergehe.
Aber dieser Standpunkt, so meint man, bestehe nicht vor einer hoeheren
Einsicht. Ueber dem Einzelnen stehe das Allgemeine, ueber dem Individuum
der Zusammenhang der Welt, ueber dem individuellen Wollen die objektive
Ordnung der Dinge. Nicht im Individuum, sondern im Ganzen, der Welt und
ihren Ordnungen verwirkliche sich der "Weltgeist", die "Idee", das
"Absolute". Und nur die Idee oder das Absolute habe ein absolutes Recht.
Wer sich in "einseitigem" Wollen, in einseitiger Betonung seiner
Persoenlichkeit gegen die Ordnung der Dinge auflehne, lehne sich gegen die
Idee auf und verfalle in Schuld. Und diese Schuld muesse sich raechen. Die
Idee negire, die Wirklichkeit verschlinge den Schuldigen, und von
Rechtswegen. Wir moegen seine Vernichtung menschlich beklagen, aber mit
der Klage verbinde sich das erhabene und erhebende Bewusstsein von der
siegenden Allgewalt der Idee. In diesem Bewusstsein, dem ehrfurchtsvollen
Schauer vor der Idee, bestehe der Genuss der Tragoedie.
Viel Wahres ohne Zweifel liegt in solchen Worten oder kann in ihnen
liegen. Viel Unwahrheit aber, viel Missverstaendnis kann sich dahinter
verbergen. Und mit je groesserem Pathos die Worte auftreten, um so groesser
ist die Gefahr des Missverstandes.--Andererseits fragt es sich, wie viel
von der Wahrheit, die in ihnen liegt, auf die Tragoedie Anwendung findet.
Was meint man denn mit jener "objektiven Ordnung" der Dinge, deren
Verletzung Suende sei? Ist es die Ordnung der Dinge, so wie sie ist, der
thatsaechliche Bestand der Welt? Diese Ordnung der Dinge bekaempft und
verletzt jedes menschliche Wollen und Handeln, nicht nur das des
tragischen Helden. Jedes Wollen geht auf Veraenderung des Weltbestandes.
Was wirklich ist, das brauchen wir nicht erst zu wollen und wollend
herbeizufuehren. Die _Gesetze_ der Wirklichkeit freilich, die hebt unser
Wollen nicht auf; die aber tastet auch das Wollen des tragischen Helden
nicht an.--Waere die objektive Ordnung so gemeint, und die Verletzung
dieser objektiven Ordnung Suende, so waere jedes Wollen suendhaft und
strafwuerdig. Das Dasein des Individuums waere das Nichtseinsollende. Die
"absolute" Moral schluege in die Moral der Selbstvernichtung um.
Indessen dies ist nicht die Meinung der Theorie, oder braucht sie nicht
zu sein. Nicht jedes Wollen soll sich versuendigen, wohl aber dasjenige,
das seine "natuerlichen und sittlichen Schranken" ueberschreitet. Aber was
heisst dies? Ich kann zunaechst die "_natuerlichen_" Schranken meines
Wollens in verschiedenem Sinne ueberschreiten. Ich will oder unterfange
mich zu thun, was ich nicht hinausfuehren kann. Wenn ich aber im Voraus
nicht weiss, oder nicht wissen kann, welche Umstaende mein Wollen
durchkreuzen werden, wenn der Zufall meine Absichten scheitern laesst?
--Dann ist es lobenswert, dass ich gewollt habe, wenn und in dem Masse,
als Ziel und Motiv meines Wollens loeblich waren. Oder ich vertraute auf
meine Kraft; auch solches Selbstvertrauen ist gut. Ja selbst, wenn mich der
heftige Drang eines nicht unedlen Wollens der besseren Verstandeseinsicht
zum Trotz an die Moeglichkeit der Erreichung des Zieles glauben und in
diesem Glauben handeln laesst, so hat dies groesseren inneren Wert, als
wenn es der kuehlen Einsicht so leicht gelungen waere mich zur Aufgabe
meines Wollens zu bringen. Der Leichtsinn freilich, der die Augen
schliesst, wo die bessere Einsicht sich aufdraengt, der Uebermut, das
hartnackige Festhalten des sichtlich Unmoeglichen, sie verdienen Tadel.
Aber immer bleibt auch hier das gute Wollen gut. Und nicht "streng", aber
bei aller Strenge doch gerecht, sondern ungerecht waere die Strafe, die
nur jenes Tadelnswerte ansaehe und den guten Kern des Wollens, das
Treibende der guten Gesinnung fuer nichts achtete.
Doch in dem Falle, von dem wir ausgingen, und vielen anderen, handelt es
sich ja um kein Wollen, das in diesem Sinne seine natuerlichen Schranken
ueberschritte. ANTIGONE will nicht, was nicht in ihrer Macht laege. Sie
will an ihrem Bruder die letzte Liebespflicht ueben und sie uebt sie. Nicht
minder vollbringen MARIA STUART und EMILIA GALOTTI, was sie wollen.
Nur in einem voellig anderen Sinne _stossen_ ueberhaupt die genannten,
ebensogut wie alle tragischen Helden, mit Schranken ihres Wollens
_zusammen_. Indem sie ihr Wollen verwirklichen, kommen sie in Konflikt
mit der Macht des Schicksals und der Macht der Menschen, die fuer sie das
Schicksal bedeuten. Sie beugen sich nicht vor solcher Macht; darum gehen
sie unter. Dass sie sich nicht beugen, darin besteht ihr "Ueberschreiten
der natuerlichen Schranken"; sie sind "unmaessig" oder "uebermaessig" in
ihrem Wollen, wenn in der Geneigtheit, vor der Macht sich zu beugen, das
"Mass" besteht. ANTIGONE bleibt bei ihrer Liebe dem Tyrannen KREON zum
Trotz; darum muss sie sterben. MARIA STUART, deren Frauenwuerde mit
Fuessen getreten wird, richtet sich stolz auf gegen ihre Feindin und
entscheidet damit ihr Schicksal. Und auch EMILIA GALOTTI brauchte nicht
zu sterben, wenn sie nicht ihre Unschuld gegen den Prinzen, in dem sich
die Macht der Verfuehrung mit der aeusseren Macht vereinigt,
aufrechterhalten wollte. Ist solche "Unmaessigkeit" des Wollens Suende,
dann allerdings sind alle die Genannten schuldig.--In der That ist es
vielfach nichts anderes, als diese "Unmaessigkeit", die man den
tragischen Helden zur Last zu legen weiss. Die "absolute" Moral, sie
schlaegt hier schliesslich um in die bekannte Moral FALSTAFFs, nur dass
FALSTAFF an der Stelle des Wortes Unmaessigkeit oder Uebermass, das
weniger philosophisch klingende Wort "Vorsicht" gebraucht, und dass bei
ihm die Vorsicht nur der bessere Teil der Tapferkeit, nicht wie hier, der
bessere Teil aller Tugend ueberhaupt ist.
Es ist eben die ganze Theorie der Versuendigung durch Verletzung
natuerlicher Schranken ein Widerspruch in sich selbst. Nicht was ist, ist
heilig, sondern was ist, wie es sein soll. Dies ist keine Wahrheit, die
man zu beweisen brauchte, sondern eine Tautologie. Nicht durch Verletzung
dessen, was ist, nur durch Verletzung dessen, was sein soll, kann ich
mich versuendigen.
Es giebt aber freilich eine Stufenordnung dessen, was sein soll; ein
System einander unter- und uebergeordneter sittlicher Zwecke. Ein Inhalt
meines Wollens mag an sich gut sein, aber er widerstreitet einem hoeheren
sittlichen Zweck; dann ist mein Wollen doch boese. Jene Stufenordnung
sittlicher Zwecke, jene Ordnung des Seinsollenden, das ist die
_sittliche_ Weltordnung. Ihr entspricht die natuerliche Ordnung der Dinge,
oder sie entspricht ihr nicht. Soweit sie ihr entspricht, ist in der
natuerlichen Ordnung der Dinge die "Idee" verwirklicht. Oder was sollte
die Idee anders sein, als der Inbegriff oder die Einheit des
Seinsollenden. Die Verletzung dieser sittlichen Weltordnung, oder der
natuerlichen, soweit sie mit der sittlichen sich deckt, die nur ist
Auflehnung gegen die Idee und ist Suende.
Erst von hier aus kann die Frage gestellt werden, in wiefern doch am
Ende auch das beste Wollen der tragischen Helden Verschuldung in sich
schliessen koenne. Zugegeben, dass ANTIGONEs Wollen auf Edles gerichtet
war. Aber haette sie nicht durch die Ruecksicht, zwar nicht auf KREONs
Macht, aber doch auf das Wohl oder die Wuerde des Staates, dessen
Herrscher er ist, sich abhalten lassen muessen, die Pflicht zu ueben,
die ihr die Liebe and das Gebot der Goetter auferlegten? Hat nicht
vielleicht MARIA STUART durch ihre Art der ELISABETH entgegenzutreten
an der Zukunft ihres Volkes, an der Weltgeschichte, der Entwickelung
der Menschheit oder dergl. sich versuendigt? Und EMILIA GALOTTI und
DESDEMONA? Liesse sich nicht auch bei ihnen ein frevelhafter Eingriff
in die sittliche Weltordnung auffinden?--obgleich wir einstweilen nicht
wissen, wo er gefunden werden sollte.
Hier gilt zunaechst ein Einwand: es giebt keine Pflicht, die ueber die
Pflicht der Aufrechterhaltung der eigenen sittlichen Persoenlichkeit
ginge, keinen sittlichen Zweck, dem die eigene sittliche Wuerde geopfert
werden muesste, keine Forderung: Wirf dich selbst weg, damit fuer die Welt
Gutes daraus entstehe.
Aber dies ist uns hier nicht das Wesentlichste.--Wo ist denn in
SOPHOKLES' ANTIGONE der Staat, das Staatswohl, die Staatswuerde? Wo
pflegen denn in Tragoedien ueberhaupt die Welt, die Weltgeschichte, die
Menschheit aufzutreten? Die Frage klingt trivial. So trivial sie klingt,
so entscheidend ist sie.
Wir kommen damit von neuem auf den eigentlichen Grundirrtum aller
Weltanschauungstheorien. Das Kunstwerk, so sahen wir, repraesentiert eine
Welt fuer sich und nichts geht uns bei seiner Betrachtung an und kann fuer
seine Beurteilung in Betracht kommen, was nicht eben dieser Welt
angehoert. Dabei muss es bleiben, mag nun das Nichtdazugehoerige Staat,
Volk, Welt, Weltgeschichte, Weltordnung oder sonstwie heissen.
Ich suche diese Wahrheit, weil sie von so grosser Wichtigkeit ist, hier
noch an einem Beispiel aus einem anderen Kunstgebiet zu illustrieren. Was
wuerde man sagen, wenn jemand bei der Betrachtung einer Bauernscene von
ADRIAN VAN OSTADE Reflexionen darueber anstellte, ob die Bauern auf dem
Bilde nicht besser thaeten zu arbeiten und fuer ihr und ihrer Familie
gedeihliches Fortkommen zu sorgen, als so den Tag zu verlungern; ob sie
durch ihre Traegheit nicht Pflichten verletzen gegen ihre Dorfgemeinde,
gegen den Staat, schliesslich gegen die Menschheit?--
Ich denke die Antwort waere einfach genug. Man wuerde--entweder dem
Laestigen den Ruecken kehren, oder ihn folgendermassen zu belehren suchen.
Die Bauern auf diesem Bilde, so wuerde man sagen, sind, wie du siehst,
nicht wirkliche, sondern gemalte, nicht der Welt der Wirklichkeit,
sondern der Welt des Bildes angehoerige Bauern, und als solche koennen
sie keine Verpflichtungen verletzen, als solche, die ihnen im Bilde
entgegentreten und da von ihnen verletzt werden. So ist beispielsweise
keine Gefahr, dass sie durch ihr Gebahren irgend eine, irgendwo in der
wirklichen Welt vorhandene Dorfgemeinde schaedigen. Sie koennen dies so
wenig, als diese Dorfgemeinde sie in ihrer Traegheit und ihrem Behagen zu
stoeren vermoechte. Das eine wie das andere koennte nur geschehen, wenn
auch die Dorfgemeinde auf dem Bilde gegenwaertig waere, also Bauern und
Dorfgemeinde derselben Welt kuenstlerischer Darstellung angehoerten, und
wenn zugleich der Konflikt zwischen beiden mitgemalt waere, oder aus der
Darstellung ohne freie Zuthat des Beschauers einleuchtete.
Die Erde, so koennte der Belehrende verdeutlichend fortfahren, ist, wie du
weisst, vom Monde sehr weit entfernt, so weit, dass von uns Erdbewohnern
eine Beruecksichtigung der Zwecke der etwaigen Mondbewohner mit Fug und
Recht nicht verlangt werden kann.
Sehr viel groesser aber noch ist die Entfernung zwischen der Welt dieses
Bildes und der Welt der Wirklichkeit, oder unserer die Wirklichkeit
betreffenden Gedanken. Sie ist genau so gross, wie ueberhaupt die
Entfernung zwischen der Welt der Objekte, die nur in der Phantasie und
fuer sie existieren, von der Welt der Wirklichkeit zu sein pflegt, naemlich
unendlich gross. Es besteht eine absolute Kluft zwischen beiden Welten,
die jeden Weg zwischen ihnen und jede Wechselwirkung voellig ausschliesst.
Diese Kluft ist, obgleich sie ohnehin einleuchtet, doch zum Ueberfluss
versinnlicht durch den Rahmen des Bildes. In den Rahmen ist das Bild
eingeschlossen, er schliesst die Welt des Bildes ab. Damit ist uns gesagt,
bis wohin bei Betrachtung des Bildes unsere Gedanken reichen sollen.
Was dann das Bild wolle?--Es will behagliches, sorgloses, humorvolles
Dasein vor Augen stellen. Glueck in der Beschraenkung, auch wohl in der
Beschraenktheit. Den Wert, den dieses Glueck an sich, so wie wir es da
sehen, besitzt, nicht im Zusammenhang der Welt und Weltordnung, von dem
nun einmal hier keine Rede ist, sondern abgesehen davon, diesen Wert will
uns das Bild eindringlich machen und geniessen lassen. Eben dazu ist es
da, diese Heraushebung und Isolierung zum Zweck des reinen durch keine
Weltruecksichten gestoerten Genusses macht es zum Kunstwerk.--
Ganz ebenso nun, wie mit diesem Bilde, verhaelt es sich auch mit der
Tragoedie. So wie jene OSTADEschen Bauern keine Pflichten verletzen
koennen, ausser solchen, die ihnen im Bilde entgegentreten und da von
ihnen verletzt werden, so koennen sich die Personen einer Tragoedie an
keinem Staat oder Volk, keiner Welt, Weltgeschichte oder Weltordnung
versuendigen, ausser soweit der Dichter dergleichen in der Tragoedie,
in den Personen, ihren Worten und Handlungen sich verkoerpern oder zur
Darstellung gelangen laesst, und sie versuendigen sich dagegen immer genau
soweit, als sie eben in der Tragoedie, der sie nun einmal ausschliesslich
angehoeren, sich dagegen versuendigen. Niemand fuerchtet, wenn der Held auf
der Buehne Drohungen ausstoesst, fuer die Sicherheit des Theaterpublikums
und bietet zu seinem Schutze die staedtische Polizei auf. Hier ist man
sich der absoluten Trennung zwischen der Welt des Kunstwerkes und der
sonstigen Welt wohl bewusst. Man weiss, jene Welt reicht bis zur Umrahmung
der Buehne und nicht weiter. So sollte man auch nicht dem Helden Konflikte
aufbuerden mit Momenten der sittlichen Weltordnung, die mit dem Kunstwerk
genau so viel zu thun haben, wie das Theaterpublikum und die staedtische
Polizei.
Jetzt sehen wir ein, wie es sich mit dem "hoeheren" Standpunkt in Wahrheit
verhaelt. Nicht im Leben ist unser sittliches Urteil eingeschraenkt, dem
Kunstwerk gegenueber aber weltumfassend, sondern voellig umgekehrt. Im
Leben moegen und sollen wir jede Handlung hineinstellen in einen
umfassenderen Zusammenhang; wir sollen sie schliesslich betrachten unter
dem Gesichtspunkte der ganzen Welt und ihrer sittlichen Ordnung. Im
Kunstwerk dagegen ist sie hineingestellt und soll darum von uns
hineingestellt werden in den Zusammenhang einer begrenzten Welt und ihrer
sittlichen Beziehungen. Dies eben ist der Unterschied zwischen der
praktisch sittlichen und der aesthetischen, darum nicht minder sittlichen
Betrachtungsweise. Keine der Betrachtungsweisen ist ohne weiteres die
"hoehere". Sie sind zunaechst nur verschiedene Betrachtungsweisen. Von der
Einsicht in ihre Verschiedenheit haengt in jedem Falle das Verstaendnis des
Kunstwerks in erster Linie ab.
Darnach lautet auch der Tragoedie gegenueber jedesmal die Frage: Wie weit
reicht die in ihr dargestellte Welt? Wo und wie weit insbesondere sind in
den Personen der Tragoedie Dinge, wie Staat und Volk, Welt, Weltgeschichte
und sittliche Weltordnung verkoerpert? Wie verhaelt sich in der Tragoedie
der Held zu ihnen und wie verhalten sie sich zum Helden? Dass ANTIGONE,
weit entfernt, sich gestraft zu fuehlen, bis zum Tode das menschliche und
goettliche Recht ihrer Liebe behauptet, wurde schon betont. Ihre Liebe und
der Goetter Gebot, das ist zunaechst _ihre_ sittliche Weltordnung. Sie
verletzt das Gebot des Herrschers. Aber auch den Staat und sein
sittliches Recht? Wo ist der Staat? Wo in der Tragoedie erscheint KREONs
Gebot als Ausfluss seines sittlichen Rechtes? KREON selbst erkennt, dass
er unrecht gehandelt hat. Er klagt sich deswegen an. Er beruft sich nicht
auf das Recht des Staates, das er anerkennen muesse und das auch ANTIGONE
haette anerkennen muessen. Er beruft sich auf keine sittliche Weltordnung,
die ihn zu seiner Handlungsweise noetige. Nicht als Vertreter des Rechtes
oder der sittlichen Weltordnung hat er gehandelt, sondern als Frevler an
Recht und Sittlichkeit. Auch fuer ihn vertritt ANTIGONE die sittliche
Weltordnung. Also thut sie es thatsaechlich, d. h. nach Meinung der
Tragoedie und des Dichters; sie thut es auch fuer uns, wenn wir das
Kunstwerk nehmen, wie es ist.
Oder soll ANTIGONE am Schlusse der Tragoedie als Naerrin erscheinen, die an
ihr heiliges Recht glaubt, wo sie gefrevelt hat, und ebenso KREON als
Narr, der verzweifelt, wo er Grund haette, erhabene Genugthuung zu
verspueren, dass er gewuerdigt sei, die sittliche Weltordnung wieder ins
Gleiche zu bringen, so wie wir der Theorie zufolge Genugthuung verspueren
sollen, wenn wir diese "poetische Gerechtigkeit" auf der Buehne sich
vollziehen sehen. Ist SOPHOKLES' ANTIGONE als Posse gemeint? Will sie mit
uns, die wir doch nicht umhin koennen, in ANTIGONEs Klage und KREONs
Selbstanklage des Dichters Meinung und den Sinn des Kunstwerkes zu
erkennen, ihr Spiel treiben?
Die gleiche Frage liesse sich sonst stellen. Auch OTHELLO, EMILIA GALOTTI,
MARIA STUART sind Possen, der Mohr, der Prinz von Guastalla, ELISABETH,
sie sind Narren, ueberall treibt der Dichter, ohne es zu sagen, sein Spiel
mit uns, wenn die Selbstanklage der genannten Personen Selbstbetrug sein,
wenn ein OTHELLO gar aus sittlichem Irrtum sich selbst toeten soll.
Die Genannten sind keine Narren; der Dichter treibt nicht sein Spiel mit
uns. Nur die Theorie der poetischen Gerechtigkeit macht sie zu Narren.
Nur sie treibt ihr Spiel mit uns. Die "poetische Gerechtigkeit", sie ist
in der That das Widerspiel aller Gerechtigkeit. Gott sei Dank, so muessen
wir mit LESSING sagen, dass es noch eine andere Gerechtigkeit giebt, als
die poetische.
DAS ENDE DER "POETISCHEN GERECHTIGKEIT".
Aber _soll_ nicht etwa die poetische Gerechtigkeit etwas ganz anderes
sein als die sonstige Gerechtigkeit? Gewiss, hoeren wir sagen, ist sie
etwas anderes. Was sie auszeichnet, ist, dass sie nicht blosse _aeussere_
Gerechtigkeit ist, sich nicht lediglich in der aeusseren Strafe
vorverwirklicht. "Wie gelinde ist die Strafe der DESDEMONA, der CORDELIA
fuer geringe Schuld; wie furchtbar die MACBETHs."--Und inwiefern
dies?--"Die Schuld der Naiven kommt kaum zu ihrem Bewusstsein, Der
Zuschauer muss das Gewissen fuer sie haben; so fuer LEAR, ROMEO und JULIA,
OTHELLO, DESDEMONA, CORDELIA, OPHELIA."--
In der That eine sonderbare Art, die poetische Gerechtigkeit zu
rechtfertigen. Oder heisst es nicht zum Unrecht den Hohn hinzufuegen, wenn
ich einen Menschen erst aeusserlich ueber Gebuehr "strafe" und dann damit
troeste, dass ich ihm sage, er habe ja sein gutes Gewissen. Wird er nicht
eben, weil er ein gutes Gewissen hat, ein Recht haben, die Strafe nicht
als solche anzuerkennen, sondern als unverdientes Geschick abzuweisen?
Freilich, in den eben angefuehrten Worten ist vorausgesetzt, der Held
befinde sich mit dem Bewusstsein seiner Schuldlosigkeit im Wahn. Was von
diesem Gedanken zu halten sei, haben wir schon gesehen. Nicht nur die
gestrafte Person muesste sich in jedem der angefuehrten Faelle in
Selbsttaeuschung befinden, sondern mit ihr zugleich das ganze Kunstwerk,
dem sie angehoert, und der Dichter, der dasselbe geschaffen hat. Der
Zuschauer, der das Gewissen fuer den Helden haette, haette es zugleich fuer
den Dichter und sein Werk. Er verbesserte, d. h. verfaelschte die Tragoedie
nach seiner Idee von poetischer Gerechtigkeit.--Wir sehen hier die
Gerechtigkeitstheorie genau auf dem Punkte angelangt, auf dem sich die
pessimistische Theorie der Resignation befand, wenn sie die Resignation,
weil nun einmal das Kunstwerk nichts davon wusste, der Reflexion des
Zuschauers ueberliess.
Wenn wir aber davon absehen, was waere das fuer eine "sittliche"
Weltordnung, die die Strafe des Helden dadurch milderte, dass sie ihn in
sittlicher Selbstverblendung liesse.--Wie sinkt die Theorie der poetischen
Gerechtigkeit tiefer und tiefer mit jedem Versuche, sich zu retten.
Es ist aber von hier nur ein Schritt zur voelligen Selbstaufhebung der
Theorie. Der Schritt ist gethan, sobald auf die innere Strafe, ueberhaupt
auf das, was im Bewusstsein der "Gestraften" vorgeht, das Hauptgewicht
oder alles Gewicht gelegt wird; wenn wir hoeren, die poetische
Gerechtigkeit walte gar "nicht im Physischen, sondern im Psychischen".
Ist es denn aber nicht so, so kann man fragen, dass die groessere Strafe
die innere Strafe, die Strafe des boesen Gewissens ist, dass andererseits
die Tugend in sich selbst den Grund hoechster Befriedigung, hoechsten
Glueckes traegt? Darauf antworte ich, dass ganz gewiss in der _Tragoedie_
die innere Strafe nicht nur die groessere, sondern dass sie diejenige ist,
auf die es bei der Bestrafung des Boesen einzig _ankommt_; und dass ohne
Zweifel die Guten, die vom Schicksal verfolgt werden, nur im Bewusstsein
ihres guten Wollens ihren "Lohn" finden koennen. Aber was will das hier?
Glaubt man die Theorie der poetischen Gerechtigkeit dadurch vor dem
Bankrott bewahren zu koennen, dass man in dieser Zuteilung innerer Strafe
und inneren Lohnes, die ja ganz gewiss immer nach "Verdienst" erfolgen
wird, die poetische Gerechtigkeit findet?
Man hat in der That den Versuch gemacht,--ohne zu sehen, dass man damit
der poetischen Gerechtigkeit einen voellig neuen Sinn gab und den Boden
der Gerechtigkeits- oder Straftheorie ganz und gar verliess. Die Frage, um
die es sich bei dem Streit um die poetische Gerechtigkeit handelt, ist ja
doch einzig die und kann einzig die sein, warum der Held in der Tragoedie
vom _Unglueck_ verfolgt werde, unter den Schlaegen des _Schicksals_ leide
und schliesslich _physisch_ untergehe. Darueber und nur darueber ist
Streit, ob dies Leiden und dieser Untergang ueberall als Strafe fuer eine
entsprechende Schuld zu fassen sei oder nicht.
Dagegen befinden wir uns auf voellig anderem Boden, sobald es als
poetische Gerechtigkeit gepriesen wird, dass nicht nur die Boesen in der
Marter des boesen Gewissens ihre innere Strafe, sondern auch die Guten,
bei allen Schlaegen das Schicksals, im Bewusstsein des Guten ihren inneren
Lohn empfangen. Ja es ist damit die poetische Gerechtigkeit im
eigentlichen und urspruenglichen Sinne des Wortes aufs entschiedenste
_geleugnet_. Ist das Bewusstsein des Guten gerechter Lohn, also
berechtigt, dann hat es ganz gewiss keinen Sinn mehr, das Leiden, das die
Traeger dieses Bewusstseins trifft, als verdiente Strafe zu fassen. Ist es
aber nicht verdiente Strafe, so ist es unverdientes Geschick, also ein
Geschehen, in dem sich gar keine Gerechtigkeit, mithin auch keine
poetische Gerechtigkeit verwirklicht. Die Theorie ist damit in ihr
Gegenteil umgeschlagen. Natuerlich streiten wir gegen diese in ihr
Gegenteil umgeschlagene Theorie nicht mehr.
Wir streiten ebenso wenig gegen diejenige Theorie der poetischen
Gerechtigkeit, die unter poetischer Gerechtigkeit _von vornherein_,
freilich wiederum ohne davon ein Bewusstsein zu haben, etwas versteht, das
mit Gerechtigkeit irgend welcher Art, darum auch mit poetischer, gar
nichts zu thun hat. Nur gegen den unberechtigten Wortgebrauch und die
daraus notwendig entstehende Verwirrung kaempfen wir auch in diesem Falle.
Es giebt eine fuer das poetische Kunstwerk ueberhaupt, vor allem aber fuer
die Tragoedie giltige Forderung der poetischen _Begruendung_ oder
_Motivierung_. Das Schicksal des Helden muss sich, wie aus den Umstaenden
und dem Charakter derjenigen, die ihm das Schicksal bereiten, so auch aus
seinem eigenen Charakter und Handeln auf begreifliche Weise ergeben. Sein
Leiden und Untergang muss zufolge der Art, wie er auftritt und sich
geberdet, moeglich erscheinen, nicht in dem bloss logischen Sinne, dass wir
die Unmoeglichkeit nicht behaupten koennen, sondern in dem aesthetischen
Sinne, dass uns nach gewohnter Vorstellungsweise einleuchtet, _wie_ es bei
solchem Verhalten, zugleich unter Voraussetzung solcher Umstaende und
eines solchen Charakters der Gegner, so habe kommen _koennen_ und am Ende
kommen _muessen_.
Diese Forderung nun und nichts anderes meinen einige, wenn sie die
Forderung der poetischen Gerechtigkeit stellen, nur dass sie sich ueber
ihre eigene Meinung taeuschen. Sie verwechseln die sachliche oder
psychologische mit der moralischen Begruendung und schieben jener diese,
ohne es zu wissen, unter. Auch der Held, nicht die Umstaende und Gegner
allein, ist an seinem Schicksal "Schuld", so naemlich wie der Regen
"Schuld" ist am Wachstum der Pflanzen, oder die Duerre "Schuld" ist an
ihrem Verwelken, d. h. er ist _Mitursache_ desselben. Aus diesem
Schuldsein macht man ein Schuldigsein. Der Held der gewiss jederzeit an
seinem Tod mit "Schuld" ist, wird "des Todes schuldig". Damit ist die
Theorie der poetischen Gerechtigkeit geboren. Sie beruht schliesslich auf
einem Wortspiel.
Hiermit nehmen wir Abschied von der Theorie der poetischen Gerechtigkeit
und zugleich ueberhaupt von den Theorien der Tragoedie, die in dem
Kunstwerk statt des Kunstwerkes ihre Weltanschauung suchen und finden.
Der Vollstaendigkeit halber waere auch noch diejenige Theorie zu erwaehnen
gewesen, die den Helden und den Zuschauer mit dem ausgleichenden,
_besseren_ bzw. fuer den Boesen schlimmeren Jenseits troestet. Aber dagegen
ist nichts Neues zu sagen. Wir wissen, dass die Tragoedie abschliesst, wo
sie abschliesst. Laesst sie der Dichter, wie im "Faust", im Jenseits
abschliessen, dann und nur dann kann sie auch fuer uns im Jenseits
abschliessen. Dann aber braucht man uns nicht mehr mit der _Aussicht_ auf
das Jenseits zu troesten.
DIE "VORUEBERGEHENDE SCHMERZEMPFINDUNG".
So gewiss nun die vorher fertigen Weltanschauungen die aergsten Feinde des
Verstaendnisses der Tragoedie sind, so wenig ist damit gesagt, dass man
nicht auch durch sonstige fertige Theorien dies Verstaendnis hinreichend
schaedigen koenne. Vor allem fertige psychologische Theorien sind dafuer
wohl geeignet. Ich will es nicht unterlassen ein Beispiel einer solchen
Theorie hier besonders namhaft zu machen.
Der Gedankengang der Theorie ist folgender. Sie setzt als zugestanden
voraus, dass die Freude am Tragischen auf dem gemeinsamen Boden der Freude
am Schmerz beruhe. Von da aus sucht sie nach einem allgemeinen
Zusammenhang zwischen Freude und Schmerz. Sie findet einen solchen in der
Thatsache, dass Aufhoeren des Schmerzes positives Wonnegefuehl sei. Daraus
ergiebt sich der Schluss, dass voruebergehende Schmerzempfindung Mittel sei
zur Erzeugung der Wohlempfindung.
In verschiedener Art nun kann aus voruebergehendem Schmerz Wohlempfindung
entstehen. Auf einer ersten Stufe bin ich selbst Traeger des Schmerzes.
Mein eigener Schmerz vergeht, und dies erweckt mir Freude.
Auf einer zweiten Stufe erfaehrt ein anderer einen koerperlichen Schmerz.
Dieser Schmerz kann fuer mich Grund der Wohlempfindung werden nur, wenn
ich ihn mitempfinde, wenn auch mein eigener Koerper von dem Schmerz
"durchschauert" wird. "Daher kommt es, dass der Indianer, der sein Opfer
martert, erst dann in Jubel ausbricht, wenn das Opfer zu wimmern und zu
schreien anfaengt."
Es ist die Grausamkeitswollust, die hier erklaert werden soll. Aber es ist
leicht zu sehen, wie schon hier die Theorie zur Erklaerung dessen, was sie
erklaeren will, unvermoegend ist. Die vermeintliche Erklaerung aus der
Theorie ist in Wirklichkeit eine Aufhebung der Theorie. Der Indianer
freut sich, wenn das Opfer wimmert und schreit. Das Wimmern und Schreien
ist aber gewiss nicht Zeichen des aufhoerenden, sondern des jetzt erst
recht fuehlbar werdenden Schmerzes. Es soll ja bewirken, dass nun auch der
Koerper des Marternden vom Schmerz "durchschauert" wird. Wie ist dies
moeglich, wenn nicht der Marternde daraus den hoechsten Grad des Schmerzes
herausliest.--Und _indem_ der Marternde vom Schmerz durchschauert wird,
indem er also den Schmerz nachempfindet, jubelt er. Sonach ist das
_Dasein_ des Schmerzes, beim Marternden sowohl wie beim Opfer, nicht das
Entschwinden desselben, Grund des Jubels. Das Entschwinden aber muesste ihn
erzeugen, wenn die Theorie hier am Platze sein sollte.
Offenbar erklaert sich der in Rede stehende Thatbestand auf ganz andere
Weise. Es hat keinen Sinn zu sagen, der Marternde juble, weil er vom
Schmerz des Opfers durchschauert wird. Die Mitempfindung des Schmerzes
ist nun einmal nicht Freude, sondern selbst Schmerzempfindung. Und auch
der Schmerz des Opfers selbst, und abgesehen von dieser Mitempfindung,
kann nicht Gegenstand, sondern nur mittelbarer Grund der Empfindung der
Freude sein. Er ist es, sofern dem Marternden in der Wahrnehmung
desselben seine _Faehigkeit_ Schmerz _zuzufuegen_, seine _Ueberlegenheit_
ueber das Opfer zum unmittelbaren Bewusstsein kommt. Physischer Schmerz ist
dasjenige, wogegen sich jedes lebende Wesen zunaechst und am
allersichersten straeubt. Indem ich solchen Schmerz zufuege, erweise ich
mich somit in besonderer Weise dem fremden Wesen uebermaechtig oder als
Herr ueber dasselbe. Ich gewinne damit ein Kraft- und Selbstgefuehl eigener
Art. Vollstaendig aber kann dies erst zur Geltung kommen, wenn ich auch
den _moralischen_ Widerstand des Opfers gebrochen, auch den Stolz oder
Trotz niedergezwungen habe, der es hindert, seinen Schmerz zu _aeussern_.
Und davon giebt mir das "Wimmern und Schreien" Zeugnis.--Dies ist der
Grund, warum der Indianer erst jubelt, wenn das Opfer wimmert und
schreit. In dem jedem Menschen natuerlichen und wohlberechtigten Streben
nach Erhoehung des Gefuehls eigenen Koennens und eigener Macht liegt der
einzige positive Grund der Grausamkeitswollust. Wie ueberall, so ist auch
hier, das was der verwerflichen Handlung Positives zu Grunde liegt, an
sich nicht verwerflich; das was sie verwerflich oder moralisch haesslich
macht, ein lediglich Negatives. Es ist in unserem Falle der Mangel der
Achtung vor der fremden Persoenlichkeit und ihrem unverletzten Bestande,
der _Mangel_ also an wirksamer schmerzlicher _Mitempfindung_, wenn sie
verletzt wird.
Darnach erscheint schliesslich der Grund der Grausamkeitswollust als
gerade der entgegengesetzte von demjenigen, den die Theorie angiebt. Der
Indianer jubelt und kann jubeln nur darum, weil er _nicht_ in dem Masse,
wie er es sein koennte und sollte, von dem Schmerz seines Opfers
"durchschauert" wird, weil ebendeswegen der Genuss des erhoehten Macht-
oder Selbstgefuehls unvermindert oder relativ unvermindert in ihm zur
Geltung kommen kann. Nur wenn man unter dem Durchschauertwerden etwas
voellig anderes versteht, als die Mitempfindung des Schmerzes, naemlich
eben die fuehllose oder ueber das Mitgefuehl siegende Genugthuung ueber die
eigene Ueberlegenheit, nur dann kann auch das _Durchschauertwerden_ als
Grund des Jubels bezeichnet werden.
Auf einer dritten Stufe der Freude am Schmerz, so erfahren wir weiter,
trete an die Stelle des Schmerz empfindenden Koerpers das Bild desselben.
Hier sei die Freude am Schmerz bereits eine aesthetische. Als Beispiele
von Gegenstaenden solcher Freude werden die "Passions- und
Marterdarstellungen des 14. und 15. Jahrhunderts" angefuehrt. Sie werden,
so meint unser Aesthetiker, von diesem Standpunkt aus Gegenstand einer
milderen Beurteilung.
Auch hier muss ich bekennen durchaus nicht zu verstehen, wie die Freude am
Schmerz als eine Art des Wonnegefuehls bezeichnet werden koenne, das mit
dem Aufhoeren des Schmerzes sich verbinde. Jene bildlichen Darstellungen
_verewigen_ ja eben fuer unsere Betrachtung den Schmerz. Oder ist die
Meinung, der Betrachter der Darstellungen erlebe es, dass in ihm eine
schmerzliche Mitempfindung erst erweckt werde, dann schwinde? Gewiss
muesste dies der Fall sein, wenn in _ihm_ das mit dem Aufhoeren des
Schmerzes verbundene Wonnegefuehl entstehen sollte. Wie aber sollte dies
geschehen. Ohne Zweifel schwindet unser Gefuehl des Schmerzes, oder wohl
auch des Widerwillens, wenn wir uns vom Anblick der Marterdarstellungen
wegwenden und sie vergessen; und wir moegen dann ein sehr angenehmes
Gefuehl der Erleichterung und Befreiung haben. Aber dies Gefuehl ist doch
nicht Genuss an den _Darstellungen_.
In der That hat auch unsere Freude an jenen Passions- und
Marterdarstellungen, soweit sie vorhanden ist, einen ganz anderen Grund.
Sie ist Eines mit der Freude am Ausserordentlichen, in besonderer Weise
die Phantasie Packenden und Erregenden, von der gleich die Rede sein
wird. Oder aber sie ist wirklicher tragischer Genuss, d. h. eine Art des
Genusses, die von der hier in Rede stehenden Theorie in keiner Weise
getroffen wird.
Der Theorie zufolge aber soll eben dieser eigentlich tragische Genuss
erreicht werden auf der vierten Stufe unserer "Freude am Schmerz." Das
Besondere dieser Stufe ist, dass wir den _seelischen_ Schmerz
nachempfinden, den wir in einem Anderen vorstellen. Dieser seelische
Schmerz, so wird uns gesagt, ergreife uns am tiefsten, wenn wir fuer die
Persoenlichkeit Sympathie empfinden. Die Wirkung werde die hoechste sein,
wenn das Leiden die Folge von Situationen and Handlungen sei, die wir
auch um ihrer selbst willen als berechtigt anerkennen. "Das Mitleid wuerde
in diesem Falle sich jedoch zu wahrhaftem Entsetzen steigern muessen, und
die beabsichtigte Wirkung, die Befreiung von dem Schmerzgefuehl, in uns
durch ein zurueckbleibendes Gefuehl der Bitterkeit beeintraechtigt werden,
wenn nicht das vorgestellte Leiden dadurch begruendet waere, dass auch die
Ursache, welche das Leiden zur Folge hat, an sich gleichfalls berechtigt
ist. Hierdurch erscheint das Leiden als ein zwar schmerzliches, aber
notwendiges, in seinen Gruenden tiefer liegendes".
Ich frage wiederum: Wo ist das Moment, auf das fuer die Theorie alles
ankommt, das Verschwinden des Schmerzes? Wieso "befreit" die Tragoedie vom
Schmerz? Der Held stirbt ja freilich schliesslich und damit endet sein
Leid. Aber auch unser Mitleid? Ist denn nicht auch der Tod selbst,
umsomehr, je wertvoller das Dasein ist, das er endet, Gegenstand unseres
berechtigten Schmerzes? Wie werden wir von diesem Schmerz befreit? Soviel
ich sehe, einzig durch das Fallen des Vorhangs und die Rueckkehr ins
Leben. Vorausgesetzt ist auch dabei noch, dass das Ende des Stuecks uns das
Stueck voellig vergessen laesst. Indem wir von der Tragoedie erloest sind,
die uns den Schmerz bereitete, sind wir von dem Schmerz befreit. Der Zweck
der Tragoedie besteht dann darin, dass sie zu Ende geht und vergessen wird.
Der hat von der Tragoedie den vollkommensten Genuss, der beim Herausgehen
aus dem Theater aus vollster Seele rufen kann: Gott sei Dank, dass das
ueberstanden ist.
Natuerlich ist dies nicht die Meinung der Theorie. Es ist nur ihre
notwendige Konsequenz. Dass die Meinung eine voellig andere ist, zeigen die
angefuehrten naeheren Bestimmungen, die vom Standpunkte der Theorie keinen
rechten Sinn geben. Der tragische Held soll mit den Handlungen, durch die
er sein Leiden herbeifuehrt, im Rechte sein, damit unsere schmerzliche
Mitempfindung sich steigere. Andererseits sollen auch diejenigen, die ihm
feindlich entgegenstehen, im Rechte sein, damit kein Gefuehl der
Bitterkeit in uns zurueckbleibe. Aber warum soll das Gefuehl der Bitterkeit
in uns _zurueckbleiben_, und nicht vielmehr, ebensowohl wie die
schmerzliche Mitempfindung weichen und dem Wohlgefuehl der Befreiung
platzmachen? Waere dies letztere der Fall, so wuerde das Gefuehl der
Bitterkeit ja als eine wertvolle Beigabe zum Genuss der Tragoedie angesehen
werden muessen. Die Theorie laesst aber nicht einsehen, wiefern beide
Gefuehle hinsichtlich ihres Gehens oder Bleibens sich verschieden
verhalten sollten.
In der That verhalten sie sich nicht verschieden. D. h. die schmerzliche
Mitempfindung schwindet nicht, so wenig als die Bitterkeit schwinden
wuerde. Die Tragoedie will uns von jener Mitempfindung so wenig befreien,
dass vielmehr die Dauer derselben Bedingung ihrer Wirkung ist. Nicht das
Aufhoeren des Leidens, sondern das vorhandene und von uns mitempfundene
Leiden ist in der Tragoedie, wie bei jeder Tragik, der Grund unseres
Genusses. Unser Schmerz ist nicht Vorlaeufer dieses Genusses sondern sein
notwendiger Hintergrund.--Wir fragen jetzt: Wie ist dies moeglich? Wie
kann das Schmerzliche, Schreckliche, Furchtbare erfreuen?
DAS MITLEID.
Auf diese Frage kann zunaechst eine Antwort gegeben werden, die nur eine
nebensaechliche Wahrheit in sich schliesst, aber uns doch endlich auf
festen Boden gelangen laesst. Man kennt die Freude, die vor allem Kinder
und Ungebildete am Gruseligen und Gespensterhaften, die Freude, die
rohere Naturen am Graesslichen und Entsetzlichen haben. Diese Freude haben
wir kein Recht, so ohne weiteres zu verurteilen. Das Positive an ihr, die
Freude an dem, was aus der Alltaeglichkeit des Lebens deutlich
heraustritt, nach irgend einer Richtung die Grenzen des Gewoehnlichen
ueberschreitet, und eben damit unsere Vorstellungsfaehigkeit in besonderem
Masse fasst und in Anspruch nimmt, diese Freude ist uns allen natuerlich,
und sie ist eben damit wohl berechtigt. Ihr Wert erhoeht sich, wenn sie
zur Freude wird an dem, was ein gesteigertes Mass von Wollen und Koennen
verraet, was neue und ungeahnte Kraefte und Wirkungen, sei es Kraefte in
der Natur oder im Menschen, uns vor Augen stellt.
Eben diese Freude nun findet auch in der Tragik ihre Stelle. Die Kraft
und das gewaltige Mass sittlicher Leidenschaft in ANTIGONE gefaellt; und
auch RICHARDs III. frevelhafter Trotz besitzt, soweit darin
ausserordentliche Kraft menschlichen Wollens und Koennens, ungeheure
Energie der Bethaetigung einer Persoenlichkeit zu Tage tritt, Wert,
aesthetischen und, wenn man das Wort sittlich nicht ungebuehrlich enge
nimmt, sittlichen Wert. Was ihn uns verabscheuungswert macht, ist nicht
diese Kraft, sondern dass sie nicht eingedaemmt und in Dienst genommen ist
von Regungen und Leidenschaften hoeherer, menschlicherer Art. Damit ist
doch die Schoenheit und Erhabenheit nicht aufgehoben, die dieser Kraft als
solcher eignet.
Indessen die Frage ist, warum laesst das Kunstwerk, das doch nur die
Schoenheit zum Zweck hat, das Erhabene in RICHARD III. derart ins Boese
verkehrt erscheinen? Warum laesst sie den Traeger der reinen sittlichen
Erhabenheit in ANTIGONE dem Leiden und Untergang verfallen? Was will das
Verabscheuungswerte und Schmerzliche, das doch als solches das Gegenteil
des Schoenen ist, im Kunstwerke?--Da es nicht Zweck sein kann, so muss es
Mittel sein.
Gehen wir von jetzt an Schritt fuer Schritt.--Ein Gegenstand, der uns lieb
war, sei beschaedigt, zerstoert, vernichtet; ein praechtiger Baum sei vom
Sturme geknickt, eine Gegend, die uns ans Herz gewachsen war, durch den
Krieg zertreten. Dann empfinden wir den Wert des Gegenstandes deutlicher.
Die Pracht des Baumes, das was uns die Gegend lieb und wert machte, kommt
uns zu klarerem Bewusstsein; das Bild wird erhabener oder lieblicher in
unseren Augen, als es zuvor war. So wird unser Verlust Gewinn, nicht
thatsaechlich, aber fuer unser Empfinden. Es mischt sich in unserem
Gefuehl des Bedauerns oder der Wehmut mit dem Schmerz um die Zerstoerung
ein erhoehtes Bewusstsein des Wertes, ein erhoehter und, eben durch den
Schmerz, vertiefter Genuss. Die Wehmut wird zur suessen Wehmut, je mehr
der Schmerz sich mildert, und doch das Bild des Gegenstandes klar vor
unseren Augen bleibt.
Doch damit sind wir noch nicht eigentlich bei der Sache. Leblose
Gegenstaende leiden nicht; sie wissen nichts von dem Geschick, das in ihr
Dasein eingriff, sie empfinden keinen Schmerz. Nur das Lebendige leidet,
Leben hat man gesagt _sei_ Leiden. Ganz sicher gilt das Umgekehrte:
Leiden ist Leben. Das Glied meines Koerpers, das keinen Schmerz mehr
empfindet, erweist sich damit als abgestorben. Umgekehrt ist
Schmerzempfindung Zeichen des Lebens. Die Zufuegung des Schmerzes ist
Schaedigung, Vergewaltigung, kurz Negation des Lebens; die Empfindung
desselben aber ist Reaktion des Lebendigen gegen die Schaedigung und
Vergewaltigung, also Lebensbethaetigung, Lebensoffenbarung.--In der Kraft
und Eigenart dieser Reaktion zeigt sich die Kraft und Art des
geschaedigten Lebens. Je intensiver, mannigfaltiger und feiner diese
Reaktion, also die Schmerzempfindung bei einem Wesen ist, ein umso
energischeres, reicheres und zarteres Leben offenbart sich darin.
Aber der Schmerz verraet nicht nur das Dasein und die Art des Lebens;
vielmehr, wie nach Obigem die Zerstoerung eines leblosen Objektes uns
seinen Wert besser empfinden laesst, so bringt auch die Schaedigung des
Lebens, die uns im Schmerze sich kund giebt, den Wert dieses Lebens zu
deutlicherem Bewusstsein. Wir wissen nun erst, was uns das Leben und der
Traeger des Lebens bedeutet. Auch hier gewinnt das Bild an Erhabenheit und
Liebenswuerdigkeit. Es gewinnt nur hier um so viel mehr, je mehr von Hause
aus der Wert des Lebendigen den des Leblosen ueberragt.
Lebendiges und Lebloses wurden hier als sich ausschliessende Gegensaetze
gefasst. Diesen Gegensatz muessen wir nachtraeglich in gewisser Weise
wieder zuruecknehmen. Es bleibt dabei, dass Lebloses nicht leidet. Aber
was leblos ist, kann unsere Phantasie mit Leben erfuellen. Dann wird es
auch in gewisser Art leidensfaehig. Die Schaedigung seines Bestandes
erscheint uns gleichfalls als eine Lebensschaedigung, also als ein Leiden.
So ist der Baum leblos und bleibt es; aber wir leihen ihm von unserem
Leben; wir vermenschlichen ihn. Was ihn betrifft, erscheint damit als
menschenaehnliches Erleben und Leiden. Seine Verletzung oder Zerstoerung
wird fuer uns Gegenstand nicht des gleichen, aber eines aehnlich gearteten
Interesses, wie der stoerende oder zerstoerende Eingriff in menschliches
Dasein. Auch sein Schicksal, so koennen wir, dem Folgenden vorgreifend
sagen, mutet uns "tragisch" an.
Das Gefuehl nun, in dem sich mit dem Weh, das die Wahrnehmung des
Schmerzes bereitet, das erhoehte Bewusstsein des Wertes verbindet, den das
geschaedigte Leben besitzt, dies Gefuehl koennen wir als _Mitleid_
bezeichnen. Dabei muessen wir aber uns bewusst bleiben, dass es unendlich
viele Arten, ich koennte besser sagen, unendlich viele Klangfarben des
Mitleids giebt. Das schmelzende, weiche, weichliche Mitleid mag man
missachten. Es giebt aber daneben ein ernstes, erhabenes, kraftvoll
erregendes Mitleid. So verschieden die Gegenstaende des Mitleides, so
verschieden ist das mit jenem Namen bezeichnete Gefuehl.
Daran mag es zum Teil liegen, dass wenig menschliche Gefuehle so
missverstanden worden sind, wie das Mitleid. Diejenige Erklaerung, die den
Ruhm groesster Oberflaechlichkeit fuer sich in Anspruch nehmen darf, macht
aus dem Mitleid ein Leid, das in dem Beschauer durch eine Art Resonanz
entstehe, verbunden mit dem angenehmen Bewusstsein, dass es ihm, dem
Beschauer, _besser ergehe_. Dann allerdings waere das Mitleid grober
Egoismus. In Wahrheit ist es davon das gerade Gegenteil. Wir haben nicht
Mitleid mit dem Nichtswuerdigen, von dem wir meinen, dass ihm gerade recht
geschehe. Um so sicherer mit demjenigen, den wir eines besseren Loses
wert halten. Wir haben es ueberall in dem Masse, als uns der Leidende,
indem wir ihn leiden sehen, und sein Leid mitempfinden, zugleich
Wertschaetzung, Achtung, Liebe abzunoetigen vermag. Also liegt im Mitleid
Bewusstsein des Wertes, Achtung, Liebe, nicht Bewusstsein eines
materiellen, sondern eines Persoenlichkeitswertes. Und es liegt darin
erhoehtes Bewusstsein dieses Wertes, erhoeht eben durch die Wahrnehmung des
Leidens, das der Persoenlichkeit widerfaehrt. Wertbewusstsein aber ist
Genuss; Bewusstsein persoenlichen Wertes Genuss der hoechsten Art.
Dieses Mitleid meint LESSING, wenn er das Mitleid eine suesse Qual nennt,
und als Zweck des Trauerspieles bezeichnet. "Furcht und Mitleid" sagt
sein Gewaehrsmann ARISTOTELES. Er meint die Furcht, dass auch uns, die
Zuschauer, aehnliches Leid treffen koenne. Diese Furcht laesst LESSING in
seiner eigenen Betrachtung beiseite, und mit Recht. Denn, wie wir wissen,
nicht was uns betreffen kann, sondern was die Gestalten der Dichtung
betrifft, geht uns an, wenn wir in der Welt der Dichtung leben. Nicht
unsere Reflexionen ueber das, was ausserhalb des Kunstwerkes liegt, koennen
die Wirkung des Kunstwerkes begruenden, sondern nur das Kunstwerk selbst.
In der That nun ist das Mitleid die Empfindung, die angesichts _jedes_
tragischen Objektes sich in uns einstellt. Es fragt sich nur, ob das
Mitleid zur Bezeichnung jeder, auch der hoechsten Art tragischer
Empfindung _genuegen_ kann. Es fragt sich in jedem Falle, welcher Art das
Mitleid sein wird.--Am besten ist es, wir lassen einstweilen den Namen
dahingestellt. An dem Streit um Namen ist uns ja jedenfalls nichts
gelegen.
GENAUERES UEBER DIE BEDEUTUNG DES LEIDENS.
Bei aller Tragik vermittelt das Leiden den Genuss. Nach dem vorhin
Gesagten muss es dabei ueberall zunaechst darauf ankommen, _was fuer ein
Individuum_ es ist, das leidet; andrerseits, _wie tief_ es leidet. Je
edler das Individuum ist, um so Edleres kann in ihm durch das Leiden
offenbar werden, und in seinem Werte uns zum Bewusstsein kommen. Je tiefer
das Leiden geht, um so eindringlicher wird uns jenes Edle zum Bewusstsein
gebracht. Was wollte uns das Leiden all der liebenswerten Gestalten, der
ANTIGONE, GRETCHEN, OPHELIA, DESDEMONA bedeuten, wenn nicht das Bild
ihrer Persoenlichkeit, das uns durch das Leiden geoffenbart und zugleich
menschlich naeher gerueckt und heller erleuchtet wird, eben dies
liebenswerte waere. Und was waeren sie uns trotz ihrer Liebenswuerdigkeit,
wenn uns nicht das Leiden vergegenwaertigte, was fuer Persoenlichkeilen es
sind, in deren Dasein das Geschick so grausam eingreift, welches ganz
anderen Geschickes wert. Eine gemeine Natur, die um ihr Leben klagte, wie
ANTIGONE, oder um einen Tag, eine Stunde, einen Augenblick ihres Lebens
bettelte, wie DESDEMONA, ruehrte uns nicht, wie ANTIGONE und DESDEMONA uns
ruehren. Das Letztere erweckte eher widrige Empfindungen. Und weder
ANTIGONEs noch DESDEMONAs Untergang wuerde uns zu so menschlich warmem
Anteil zwingen, wenn sie statt klagend und damit die Tiefe ihres Leidens
an den Tag legend, mit kuehler Resignation dem Tode die Hand reichten.--So
wenig macht hier die Resignation und das resignierte Wegwerfen des Lebens
den eigentlichen Sinn der Tragik, dass solcher Heroismus vielmehr die
ganze Tiefe der Tragik zerstoeren muesste.
Im Gesagten liegt ein weiteres Moment im Grunde schon eingeschlossen. Was
fuer ein Individuum es ist, das leidet und wie tief es leidet,--damit
haengt unmittelbar zusammen die Art, _wie_ das Individuum leidet, wie es
das Leiden ertraegt, oder sich dagegen verhaelt. Es offenbart sich ja vor
allem in dieser Art sich zum Leiden zu verhalten das Wesen der
Persoenlichkeit; es offenbart sich darin zugleich die Tiefe des Leidens.
Auch der LAOKOON der plastischen Gruppe nimmt das Leiden nicht mit
Resignation auf sich, sondern kaempft dagegen an. Wie aber kommt gerade in
diesem Kampfe gegen das Leiden die Kraft und Tuechtigkeit der
Persoenlichkeit zur Geltung. Auch hier wird uns zugleich der Wert der
Persoenlichkeit und ihres Lebens dadurch eindringlicher, dass es ein
_Leiden_, dass es die drohende _Vernichtung_ ist, gegen welche die
Persoenlichkeit so maechtig sich baeumt, und dass sie trotz alles Kampfes
_untergehen_ muss. Es fuegt hier, wie in allen Faellen, das Bewusstsein des
Leidens und Untergangs zur Freude an der Persoenlichkeit, wie wir sie auch
sonst verspueren koennten, etwas von der tieferen und waermeren Empfindung
der Liebe und Ehrfurcht.
So untragisch das Wegwerfen des Lebens bei ANTIGONE und DESDEMONA und
nicht minder beim LAOKOON waere, so tragisch ist es in anderen Faellen.
ROMEO muss das Leben wegwerfen, so gewiss ANTIGONE es nicht darf. Wir
kommen damit auf einen weiteren Punkt. Nicht nur, wer leidet, wie tief
das Leiden geht and wie ihm der Leidende begegnet, bestimmt die Hoehe und
die Art des tragischen Genusses. Auch das ist von Bedeutung, _wovon_ oder
_worunter_ der Held leidet, was der _Gegenstand_ seines Leidens ist. Das
Leiden meinten wir, lasse die Persoenlichkeit offenbar werden. Das thut
auch die Freude, der Jubel, das Lachen. "Sage mir, worueber Du lachst, und
ich will Dir sagen, wer Du bist." Doch mehr als dies alles that es der
Schmerz. Nichts laesst so sehr ins Innerste der Persoenlichkeit, in den
eigentlichen Kern ihres Wesens blicken, als die Schmerzempfindung; so wie
wir in die Pflanze einschneiden, vielleicht sie zerstoeren muessen, um ihr
innerstes Leben zu sehen. Eben dabei aber ist es wesentlich, _was_ die
Empfindung des Schmerzes erweckt.
Dies braucht nicht ueberall dasselbe zu sein. Es kann je nach
Persoenlichkeit und Schicksal der verschiedensten Art sein. Es ist bei
ANTIGONE und ROMEO gegensaetzlicher Art. Trotzdem ist es bei beiden
positiver Faktor fuer unseren tragischen Genuss.
Wer saehe nicht mit liebendem oder ehrfuerchtigem Anteil auf die
Persoenlichkeit, in der ein menschlich wertvolles Streben, eine edle
Leidenschaft solche Macht gewonnen hat, dass die Persoenlichkeit, um das
Ziel ihres Strebens betrogen, des Gegenstandes der Leidenschaft beraubt,
den Tod als Erloesung begruesst? Nicht weil die Weggabe des Lebens an sich
irgend etwas Erhebendes haette. Wer um nichts, getrieben durch den Schmerz
um eine wertlose Sache, sein Leben wegwuerfe, erschiene uns nicht gross und
erhaben, sondern jaemmerlich. Sondern, weil sich in der Unmoeglichkeit
weiter zu leben die Tiefe eines edeln Schmerzes, und durch ihn hindurch
die Groesse einer edeln Leidenschaft kundgiebt.
Solcher Art ist der Schmerz ROMEOs. Dagegen ist, wie schon oben gesagt,
fuer ANTIGONE eben die Aussicht auf den Tod der Gegenstand des Schmerzes.
Sie hat ja ihr Ziel, die Erfuellung der Liebespflicht an ihrem Bruder,
erreicht. So andersgeartet aber dieser Schmerz ist, so gewiss hat doch
auch er sein menschlich Berechtigtes und menschlich Anmutendes. Es ist
etwas Schoenes, ja Entzueckendes um ein Menschenkind, das jung und hoffend
am Leben haengt, an das es glaubt und zu glauben sein gutes Recht hat.
Wenn nicht fuer eine gewisse Art "philosophischer" Reflexion, so doch fuer
das natuerliche Gefuehl, das ohne Einmischung solcher Reflexionen, von
denen nun einmal eine ANTIGONE nichts weiss, sich dem Eindruck des
Kunstwerkes hingiebt.
Darauf allein aber kommt es an. Vielleicht meint jemand, der klueger ist
als ANTIGONE, auch sie wuerde, wenn sie weiter lebte, Enttaeuschungen
erfahren, die ihr das Leben nicht mehr so lebenswert erscheinen liessen.
Dieser Einwand waere in aller seiner Klugheit so thoericht, wie der andere,
dass es doch fuer einen Menschen in der Lage ROMEOs auch solche
Verpflichtungen gebe, die ihn hindern muessten das Leben preiszugeben. Wer
so redete, mischte wiederum das Wirkliche und in der wirklichen Welt
Moegliche oder Geforderte ins Kunstwerk und zeigte, dass ihm vom Sinne des
Kunstwerkes auch noch nicht das Abc aufgegangen ist. In der Tragoedie lebt
nun einmal ANTIGONE nicht weiter; und von jenen Verpflichtungen ROMEOs
ist in SHAKESPEAREs Stueck keine Rede. Die Frage ist einzig: Ist ANTIGONEs
Haengen am Leben aus ihrer Persoenlichkeit, ROMEOs Preisgabe des Lebens aus
der Staerke seiner Liebe begreiflich, und verspueren wir eine erhebende
Wirkung von jener Persoenlichkeit und dieser edlen Leidenschaft, wenn wir
das eine und das andere, genau so wie es uns entgegentritt, und ohne alle
Nebengedanken auf uns wirken lassen. Bejahen wir diese Frage, dann ist
vielleicht weder ANTIGONE noch ROMEO in irgend welcher pessimistischen
oder optimistischen Moralvorlesung als Musterbeispiel brauchbar. Ihr Wert
im Kunstwerk wird doch dadurch um nichts verringert.
Indessen, so sehr wir berechtigt sind, was ANTIGONE leidet, und was den
Gegenstand des Schmerzes bei ROMEO bildet, nebeneinander und unter einen
Gesichtspunkt zu stellen, so wenig hat doch jenes und dieses Leiden
dieselbe Bedeutung fuer die Tragoedie. Dass ANTIGONE dem Tode entgegengeht,
so wie sie es thut, macht sie zur tragischen Gestalt, darum noch nicht
zur tragischen Heldin. Soll sie dies sein, so muss bei ihr noch ein Moment
hinzukommen, das bei ROMEO in dem Gesagten bereits enthalten liegt.
Welches Moment dies ist, das kommt ans am leichtesten zum Bewusstsein, wenn
wir uns wiederum des Laokoonbildwerkes erinnern. Bisher konnten wir den
LAOKOON in allem mit den tragischen Helden vergleichen und in eine Linie
stellen. Auch der zuletzt hervorgehobene Faktor ist fuer ihn, wie fuer die
Helden dei Tragoedie bedeutsam. Auch bei ihm ist der _Gegenstand_ des
Leidens nicht unwesentlich. Es ist weder gleichgueltig noch tadelnswert,
sondern schoen, dass er am _Leben_ haengt und fuer sein _Leben_ kaempft,
an dem zu haengen und fuer das zu kaempfen er ein Recht hat. Aber die
Laokoongruppe ist kein Drama, LAOKOON nicht Held einer Tragoedie.
Gewiss koennte er es werden. Nicht der Bildner, aber der Dichter kann ihn
dazu machen. Er stelle in LAOKOON einen Menschen dar, der ganz erfuellt
von dem Gedanken sein bedrohtes Vaterland zu retten, trotz des
Widerspruchs der Seinen, und im Kampfe mit der Ungunst des Geschickes an
seinem edlen Streben festhaelt und schliesslich um dieses edlen Strebens
willen untergeht; und ich wuesste nicht, was ihm zum tragischen Helden
fehlen sollte.
Damit ist jenes Moment bezeichnet. Die Tragoedie ist Drama. Und das Drama
hat zum wesentlichen Merkmal das Wollen und Handeln. Ein Wollen und
Handeln muss im tragischen Helden sich verwirklichen. Nicht ein beliebiges
Wollen und Handeln, sondern ein bedeutsames, die ganze Persoenlichkeit des
Helden erfuellendes. Dasselbe muss einen solchen Inhalt haben, dass wir
einsehen, wie es die ganze Persoenlichkeit erfuellen koenne. Es muss die
Persoenlichkeit erfuellen koennen auch insofern, als es aus ihrer innersten
Natur sich ergiebt. Eben dieses Wollen und Handeln muss in der Tragoedie
zum Leiden hinfuehren. Es muss dasjenige sein, "_wofuer_" oder "_um dessen
willen_" der Held leidet. Den LAOKOON des plastischen Kunstwerkes aber
sehen wir nur leiden, ohne dass uns zugleich ein bedeutsames Wollen und
Handeln als Grund dieses Leidens vergegenwaertigt wuerde.
Hiermit scheidet sich die Tragik der Tragoedie von der sonstigen, nicht
oder nicht im engeren und eigentlichen Sinne dramatischen Tragik. Was sie
scheidet, ist das "Wofuer", der "Grund" des Leidens in diesem besonderen,
eben naeher bezeichneten Sinne des Wortes. Man mag den LAOKOON des
Bildwerkes dramatisch, dramatisch bewegt oder dramatisch lebendig nennen;
aber die Tragik ist nicht dramatisch, d. h. nicht dramatisch _begruendet_.
Wie aber bei allen bisher bezeichneten und fuer die tragische Wirkung in
Anspruch genommenen Momenten alles darauf ankam, dass in ihnen ein
Wertvolles der Persoenlichkeit offenbar werde und in seinem Wert
einleuchte, so auch hier. Auch das "Wofuer" des Leidens soll uns die
Persoenlichkeit wertvoll machen und dadurch den tragischen. Genuss, der
eben jederzeit Genuss eines Wertvollen in der Persoenlichkeit ist,
bedingen.
Das "Wofuer" meinten wir, sei ein bedeutsames Wollen und Handeln. Es ist
in den hier zunaechst vorausgesetzten Faellen ein _gutes_ Wollen und
Handeln. Insoweit leuchtet ohne weiteres ein, wie es uns die
Persoenlichkeit wertvoll machen koenne. "Gut" ist ja gar nicht das einzelne
auf den Vollzug einer Handlung gerichtete Wollen als solches, erst recht
nicht das Handeln an und fuer sich, sondern beides ist gut, sofern ihm ein
gutes Motiv, ein Gutes der Gesinnung, des Charakters, kurz der
Persoenlichkeit zu Grunde liegt.
Bei ANTIGONE nun ist die That, "fuer" welche sie leidet, die Bestattung
des Bruders, was sie dazu treibt, die Bruderliebe. Dass diese Liebe und
das Bewusstsein der Pflicht, die sie auferlegt, Stand haelt angesichts des
Todes, das zeigt uns die Staerke der Liebe, und damit das erhabene Wesen
der ANTIGONE in seiner vollen Herrlichkeit.--Es braucht wohl nicht mehr
gesagt zu werden, dass die Macht der Bruderliebe in ANTIGONE um so groesser
erscheinen muss--nicht je bereiter sie ist, das Leben als eitel und
wertlos wegzuwerfen, sondern je mehr sie am Leben _haengt_, und ihrer
Natur nach am Leben zu haengen berechtigt ist.
Danach faellt in ANTIGONE dasjenige, was, oder worunter sie leidet--die
Aussicht auf den Tod--und das, _wofuer_ sie leidet, auseinander. Dagegen
ist bei ROMEO beides zugleich und in Einem gegeben. Er leidet fuer seine
Liebe; der Verlust des Gegenstandes seiner Liebe ist zugleich das, was er
erleidet. Damit haben wir zwei verschiedene Arten des Trauerspiels
gewonnen. Wir koennen sie auch so bezeichnen, dass wir sagen: in der einen
folge das Leiden aus der Verwirklichung eines wertvollen und erhabenen
Wollens, in der andern bestehe es in der Vereitelung eines solchen
Wollens. Diesem Unterschiede entspricht ein Unterschied in der
aesthetischen Bedeutung des Leidens. Bei ANTIGONE _behauptet_ sich das
Schoene und Gute trotz des Leidens und im Leiden; bei ROMEO _erweist_ es
sich erst im Leiden.
DIE BESTRAFUNG DER BOESEN UND DIE MACHT DES GUTEN.
Dieser Unterschied zwischen Arten des Trauerspiels tritt aber zurueck
gegenueber einem anderen, tiefer greifenden. Wie fuegt sich MACBETH unseren
Bestimmungen ein?
Auch MACBETH leidet "fuer" etwas. Aber nicht fuer ein gutes Wollen, sondern
fuer ungeheure Frevel. Offenbar hat hier das "fuer" einen anderen Sinn, als
oben. Ich koennte es verdeutlichen, indem ich sagte, MACBETH leide "zur
Strafe fuer" seine Frevel, oder leide fuer die "Schuld", die er durch seine
Frevel auf sich geladen habe. Damit scheint die Schuld- und Straftheorie
oder Theorie der "poetischen Gerechtigkeit" wenigstens teilweise wieder
in ihr Recht eingesetzt.
Aber es fragt sich, was wir unter Strafe verstehen. Wir sahen oben, was
allein der Strafe sittliche, also aesthetische Bedeutung verleiht. Naemlich
die Reaktion des sittlichen Willens--nicht gegen den Boesen; eine solche
waere widersinnig und damit das Gegenteil der Reaktion eines _sittlichen_
Willens,--sondern gegen _das_ Boese. Der boese Wille, so sagten wir, muss
getroffen, gebrochen ueberwunden werden; oder die Strafe ist nicht Strafe,
sondern nutzlose und eben damit unser Gefuehl beleidigende Schaedigung.
Dies bestaetigt uns die Erfahrung. Wenn wir es ausserhalb der Buehne
erleben, dass den Verbrecher die Strafe ereilt, so halten wir dies
freilich fuer recht und in der Ordnung. Aber eine erhebende Wirkung
verspueren wir von dieser blossen aeusseren Thatsache der Bestrafung nicht,
die Strafe mag noch so wohlverdient sein. Sie wird besonders wohlverdient
erscheinen muessen, wenn der Verbrecher noch angesichts und waehrend des
Vollzugs der Strafe verstockt bleibt. Aber gerade dann sind wir von jeder
erhebenden Wirkung am weitesten entfernt.
Vollends gilt dies, wenn die Strafe in Verhaengung des Todes besteht.
Solche Strafe wird ja von nicht wenigen ueberhaupt als unrecht,
unsittlich, empoerend abgewiesen. Ihnen stehen andere entgegen, denen sie
zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung notwendig und darum gut
erscheint. Lassen wir hier dahingestellt, ob mit dieser
"Aufrechterhaltung der Rechtsordnung" ueberall ein klarer und
widerspruchslos denkbarer Begriff sich verbindet. Welchen Begriff wir
allein damit verbinden koennen, haben wir oben angedeutet, und wir werden,
was die Tragoedie betrifft, darauf zurueckkommen. Einstweilen genuegt uns
dass in jedem Falle niemand zum Anblick des Vollzugs der Todesstrafe sich
draengt, weil er einen sittlich erhebenden Genuss, weil er sittliche
Genugthuung davon erwartet. Und auf der Buehne sollten wir solchen Genuss,
solche sittliche Genugthuung daraus schoepfen!
Wohl aber uebt es eine erhebende und sittlich befreiende Wirkung, wenn wir
sehen, wie MACBETHs Trotz getroffen, sein Glaube alles Sittliche
verhoehnen zu koennen fuer ihn selbst zu Schanden geworden ist, wie er also
nicht nur gestraft ist, sondern sich innerlich gestraft weiss. Damit
erfuellt eben die Strafe die Forderung, die wir ehemals an sie stellten,
wenn sie ihren Namen verdienen solle. Die Strafe, die MACBETH erfaehrt,
ist, was die "Strafe" der ANTIGONE sein muesste, aber, wie wir sahen, ganz
und gar nicht ist.
Wir muessen aber, was wir hier unter Strafe verstehen, oder in wiefern wir
der Strafe eine sittlich erhebende Wirkung beimessen koennen, noch genauer
bestimmen. Wir muessen vor allem uns darueber klar sein, dass auch bei der
inneren Wirkung der Strafe nicht das Gebrochensein, das Zuschandenwerden,
das darin sich verwirklichende Leiden als solches den Grund der
sittlichen Erhebung ausmacht. Das waere ein Rueckfall in den
zurueckgewiesenen Fehler.
_Kein_ Leiden, wie es auch heissen mag, kann durch sein blosses Dasein
erfreuen. Der Grund des Genusses kann in keiner Weise in einem lediglich
Negativen, er kann auch nicht in der inneren Negation bestehen. Sondern
das macht hier wie ueberall den Genuss am Leiden, dass in dem Leiden ein
positiv Wertvolles der Persoenlichkeit zu Tage kommt. Dies positiv
Wertvolle ist aber hier die Stimme des Gewissens und der Wahrheit. Sie
erwacht in der boesen Persoenlichkeit und schafft ihr durch ihr Erwachen
und Sichregen das innere Leiden. Das Leiden erhebt und erzeugt
Genugthuung, sofern in ihm die innere Macht des Guten aber das Boese in
der Persoenlichkeit sich kundgiebt.
Hiergegen bleibt noch ein Einwand zurueckzuweisen. Kein Leiden, sagten
wir, schaffe durch sein blosses Dasein Genuss. Aber giebt es nicht
Schadenfreude, angenehmes Gefuehl der befriedigten Rache? Solche Gefuehle
mag man sonst nicht hochstellen. Sie koennten darum doch durch den
besonderen Charakter, den sie der Tragoedie gegenueber annehmen, zum Genuss
der Tragoedie beitragen.
In der That giebt es dergleichen. Wir koennen sogar von einer doppelten
Schadenfreude reden, einer egoistischen und einer nichtegoistischen oder
sittlichen.
Wir empfinden zwar nicht Freude an dem Schaden, dem aeusseren oder inneren
Leiden jedes Beliebigen, wohl aber koennen wir Freude haben an dem Schaden
desjenigen, der uns geschaedigt, sich uns ueberlegen gezeigt, oder in
irgend einer Weise sich uns gegenueber wirklich oder vermeintlich
ueberhoben hat, ja der auch nur durch das, was er ist, oder hat, uns einen
eigenen Mangel fuehlbar macht. Dies ist die egoistische Schadenfreude.
Dagegen ist es nicht egoistische Schadenfreude, aber doch auch
"Schadenfreude", wenn ich mich freue ueber den Schaden desjenigen, der
Unrecht gethan hat, gleichgiltig an wem es begangen wurde.
Es kommt aber hier alles auf das psychologische Verstaendnis dessen an,
was wir Schadenfreude nennen. Und dazu gehoert vor allem, dass wir uns des
positiven Kerns der Schadenfreude bewusst sind. Dieser ist bei der
egoistischen Schadenfreude Genuss des befreiten und gehobenen
_Selbstgefuehls_. Darum eben heisst sie egoistisch. Die Schaedigung, die
ich von der fremden Persoenlichkeit erfahren habe, ihre Ueberhebnug oder
Ueberlegenheit, das Bewusstsein des eigenen Mangels, das alles bedeutet
fuer mich Niederdrueckung, Hemmung, Stoerung meines Selbstgefuehls. Von
dem Druck oder der Stoerung fuehle ich mich befreit durch den der fremden
Persoenlichkeit zugefuegten Schaden.
Aber wie ist dies moeglich? Der mir zugefuegte Schaden wird ja nicht
aufgehoben durch den Schaden, den mein Schaediger erleidet. Es wird damit
nur der Schaden in der Welt verdoppelt. Auch sonst wird mir kein
faktischer Gewinn, der mein Selbstgefuehl heben koennte, zu Teil. Mein
Mangel wird nicht geringer.--Umso sicherer habe ich einen ideellen
Gewinn. Aber auch ihn ziehe ich nicht aus dem Schaden, den die fremde
Persoenlichkeit erfaehrt, sondern aus dem mit dem Bewusstsein desselben
verbundenen Gedanken der Hemmung oder Verminderung des fremden
Selbstgefuehls. Daher ich die Schadenfreude erst empfinde, wenn ich
annehmen kann, die fremde Persoenlichkeit habe den Schaden nicht nur
erfahren, sondern fuehle ihn auch und fuehle sich dadurch in ihrem
Selbstgefuehl getroffen. Die fremde Persoenlichkeit kann sich, so meine
ich, nachdem sie den Schaden erfahren hat, nicht mehr so, wie sie es
that, gegen mich ueberheben oder sich mir ueberlegen glauben; ich brauche
mich nicht mehr, wie vorher, durch den Gedanken ihrer Ueberhoehung oder das
Nachempfinden ihres Ueberlegenheitsbewusstseins in mir gedrueckt zu
fuehlen.--Damit ist zugleich gesagt, dass auch dann, wenn ich von der
fremden Persoenlichkeit _thatsaechlichen_ Schaden erfahren habe, das
Bestreben ihr wieder zu schaden in dem Gedanken, dass sie sich gegen mich
ueberhebe oder mir ueberlegen fuehle, seinen eigentlichen Grund hat, dass
also auch bei solcher _realen_ Schaedigung die darin liegende _Ueberhebung_
das mir eigentlich Unertraegliche ist.
Doch auch damit ist die Schadenfreude nicht erklaert. Dass ich nicht mehr
den drueckenden Gedanken der fremden Ueberhebung in mir vollziehe, das
schafft mir nicht die in der Schadenfreude liegende positive und
eigenartige Lust. Jener drueckende Gedanke schwindet ja immer auch dann,
wenn ich ihn fuer einen Augenblick oder laengere Zeit hindurch vergesse.
Und doch ergiebt sich daraus kein der Schadenfreude vergleichbares
Gefuehl. Vielmehr muss noch Eines hinzukommen; und das ist der Gedanke,
dass die fremde Persoenlichkeit, indem sie sich in ihrem eigenen Selbst
vermindert weiss, nicht umhin kann, nunmehr mich, oder wenn sie von mir
nichts weiss, Meinesgleichen als sich gleich, und zu gleichem
Selbstbewusstsein berechtigt _anzuerkennen_. Und wiederum ist dabei nicht
das Entscheidende, dass ueberhaupt mein Selbst und Selbstbewusstsein
anerkannt wird;--denn solche Anerkennung finde ich ja sonst in allen
moeglichen Individuen, die sich nicht gegen mich ueberheben oder gar mir
positiven Respekt bekunden. Vielmehr kommt alles darauf an, dass eben
_die_ Persoenlichkeit, die sich gegen mich ueberhob oder mir ueberlegen
war, ihrer Ueberhebung oder ihrem Ueberlegenheitsbewusstsein zum _Trotz_
zur Anerkennung sich gezwungen sieht. Dadurch gewinnt die Anerkennung ein
Gewicht und fuer mich einen Wert, den sonstige Anerkennung fuer mich nicht
besitzt. Es schafft mir Genugthuung, mich in eine Art von Respekt gesetzt
zu sehen, da und gerade da, wo kein solcher Respekt und keine Neigung
dazu vorhanden war. Und in dieser Genugthuung erst besteht die
Schadenfreude.--Weil sie darin besteht, darum ist meine Schadenfreude
umso vollkommener, je ueberlegener mir derjenige zu sein oder sich zu
fuehlen schien, an dessen Schaden ich mich freue, und je vollkommener die
bewusste Demuetigung ist, die ich bei ihm, nachdem er den Schaden erfahren
hat, meine annehmen zu duerfen.--Man sieht, es verhaelt sich mit dieser
egoistischen Schadenfreude voellig analog wie mit der Grausamkeitswollust,
von der oben die Rede war. Die Grausamkeitswollust ist eben am Ende nur
eine andere Art der Schadenfreude.
Es braucht nun aber nicht mehr gesagt zu werden, dass solche egoistische
Schadenfreude ebenso gut wie die Grausamkeitswollust dem Kunstwerke
gegenueber ausgeschlossen ist. Der Held der Tragoedie insbesondere
schaedigt uns nicht, er weiss nichts von Ueberlegenheit und Ueberhebung
uns gegenueber, es hat keinen Sinn sich mit ihm vergleichen oder messen
zu wollen und ueber das fuer die eigene Person unguenstige Ergebnis der
Vergleichung und Messung ihm zu grollen. Vor allem dem bewahrt uns die
absolute Kluft zwischen der Welt des Kunstwerkes und uns.
Obgleich dies alles nicht gesagt zu werden braucht, so ist es doch fuer
das Verstaendnis des Kunstwerkes grundwesentlich es zu wissen. Wir
betonten schon, dass das sittliche Urteil gegenueber dem Kunstwerke reiner
sei als unser sonstiges sittliches Urteil, und dass es dies darum sei,
weil es von Ruecksichten auf das, was ausserhalb der Welt des Kunstwerkes
liege, frei bleibe. Hier nun sehen wir an einem Punkte deutlich, wiefern
diese Behauptung zutrifft. Was ist es denn, das im Leben vor allem unser
sittliches Urteil truebt? Gewiss die Beziehung auf uns und unser
Selbstgefuehl. Statt eine Person und ihr Handeln nach ihrem eigenen Werte
und nur danach zu beurteilen, sind wir geneigt sie vielmehr zu beurteilen
nach dem realen oder ideellen Gewinn oder Verlust, der uns oder unserem
Selbstgefuehl aus ihrem Dasein oder Handeln erwaechst oder erwachsen
koennte. Dass davon nicht nur gegenueber der Tragoedie, sondern gegenueber
jedem darstellenden Kunstwerk--trotz aller Theorien, die das Gegenteil
behaupten und so den Sinn des Kunstwerkes in Widersinn verkehren--keine
Rede ist und keine Rede sein kann, dies ist es zunaechst, was dem
Kunstwerk und damit auch der Tragoedie einen besonderen, durch nichts in
der Welt zu ersetzenden sittlichen Wert verleiht.
Je weniger nun aber die egoistische Schadenfreude beim Genuss der Tragoedie
mitsprechen kann, umsomehr scheint die andere, die von uns oben
zugestandene nichtegoistische Schadenfreude dabei beteiligt zu sein. Dies
leugne ich denn auch nicht. Sie ist nicht nur dabei beteiligt, sondern
sie macht das Wesen des Genusses aus. Die unegoistische oder sittliche
Schadenfreude ist eben gar nichts, eine leere Illusion, oder sie ist jene
Freude an der inneren Macht des Guten, auf die wir den tragischen Genuss
zurueckgefuehrt haben.
Was bei der egoistischen Schadenfreude unser Selbstgefuehl, das ist bei
der nichtegoistischen oder sittlichen unser sittliches Gefuehl. Wie dort
durch die Ueberhebung gegen unsere Person unser Selbstgefuehl, so wird hier
durch die Ueberhebung gegen die Forderungen unseres sittlichen Bewusstseins
unser sittliches Gefuehl bedrueckt, gehemmt, verletzt. Wir verspueren hier
wie dort Genugthuung, nicht weil durch das Leiden die Ueberhoehung
aufgehoben, sondern weil sie in _Anerkennung_ dessen verwandelt ist,
wogegen die Persoenlichkeit sich erhob. Endlich ist auch hier wesentlich,
dass eben _derjenige_ zur Anerkennung der sittlichen Forderungen sich
gezwungen sieht, der mit aller Gewalt sich dagegen _straeubte_ und
vielleicht bis zuletzt sich dagegen straeubt. Je mehr er sich straeubt,
umsomehr kommt die innere Macht des Guten in jenem Zwang der Anerkennung
zu Tage.--So hat die Berufung auf die Thatsache der Schadenfreude nur
unsere schon ausgesprochene Anschauung bestaetigt.
Welche Bedeutung koennen nun noch bei Tragoedien von der Art des "MACBETH"
jene uns bekannten Wendungen haben, dass in der Tragoedie die sittliche
Weltordnung wiederhergestellt erscheine, dass die Idee triumphiere oder
das Recht gesuehnt werde? Die Antwort liegt in dem bisher Gesagten. Die
"sittliche Weltordnung" wird wiederhergestellt, nicht in dieser
Allgemeinheit, sondern sofern das Gute im Helden Macht gewinnt. Seine
Ueberhebung ueber die sittlichen Forderungen, das war die Verkehrung der
sittlichen Weltordnung, naemlich der sittlichen Ordnung in der Welt der
Tragoedie. Dass er sich beugt und wenn auch noch so unwillig beugen muss,
dass ist ihre Wiederherstellung.--Die "Idee" triumphiert, aber nicht als
dies Abstraktum, sondern als die Stimme des Gewissens und der Wahrheit im
Helden.--Damit ist dann auch schon dem "Rechte" sein Recht geworden. Das
Recht wird gesuehnt, d. h. das Rechtsbewusstsein im Helden, das durch die
boese Leidenschaft niedergehalten war, kommt zur Geltung; und eben damit
findet _unser_ Rechtsbewusstsein, das er verneint hatte, seine
Anerkennung. Jede sonstige Suehnung des Rechtes ist eine inhaltleere
Phrase.
Man hat auch wohl gesagt, die sittliche Weltordnung, die Idee, das Recht
sei der eigentliche Held der Tragoedie, nicht die einzelne Persoenlichkeit.
Von diesem Satze kann der erste Teil zugestanden werden, wenn man den
zweiten preisgiebt. Die sittliche Weltordnung, die Idee, das Recht ist
der Held eben in der einzelnen Persoenlichkeit und genau so weit, als es
die einzelne Persoenlichkeit ist.
Wir sind in diesen Eroerterungen davon ausgegangen, dass ein MACBETH "fuer"
ungeheure Frevel leide; den Sinn dieses "fuer" suchte ich deutlich zu
machen. Es leuchtet jetzt auch ein, wie mit diesem Moment die anderen
oben unterschiedenen und als wesentlich fuer den tragischen Genuss
bezeichneten Momente aufs engste zusammenhaengen. Was ist der Gegenstand
des Leidens fuer MACBETH? "Worunter" leidet er? Aeusserlich betrachtet
unter dem Scheitern seiner Plaene, tiefer gefasst unter der Anklage seines
Gewissens, der Notwendigkeit, die sittliche Weltordnung anzuerkennen.
Die innere Macht des Guten, die sich damit an ihm erweist, muss aber umso
groesser erscheinen, je gewaltiger in ihm die Macht der boesen Leidenschaft
ist, je heftiger er darum gegen das Gute ankaempft. Insofern kommt es auch
hier darauf an, "was fuer eine Persoenlichkeit" es ist, die leidet, und
"wie" sie leidet oder zu dem sich verhaelt, was ihr das Leiden schafft.
Nicht die Schwaechlinge im Boesen, nicht diejenigen, die noch von ihrem
boesen Wollen ablassen und, ohne darueber zu Grunde zu gehen, zum Pfade der
Tugend zurueckkehren koennen, am wenigsten die weichlich Bereuenden sind
die tragisch wirksamsten Gestalten, soweit die tragische Wirkung durch
die Wahrnehmung der inneren Macht des Guten ueber das Boese bedingt ist,
sondern die _Helden_ der boesen Leidenschaft, diejenigen, die alles an
ihre Leidenschaft setzen, und schliesslich _knirschend_ die sittliche
Weltordnung anerkennen, aber doch eben sie anerkennen. Nur wo das Boese
ein gewaltiges ist, bedarf es einer gewaltigen sittlichen Macht, um es zu
brechen, erst wenn es den ganzen Menschen beherrscht, so dass er ohne die
Verwirklichung des boesen Wollens nicht leben kann, zeigt sich die
sittliche Macht, die trotzdem sich Anerkennung verschafft, in ihrer
_vollen_ Groesse. Dann wird aber das boese Wollen sich zu behaupten suchen
muessen bis zum Ende. Der Held wird kaempfen und kaempfend _untergehen_.
--Es ist wiederum eine wichtige Einsicht, die hier sich ergiebt. Sie
ergiebt sich aber aus der richtigen Fassung des Sinnes der Tragoedie mit
Notwendigkeit.
Endlich ist nicht minder deutlich, dass die Wirkung einer Tragoedie von der
hier in Rede stehenden Art sich steigert mit der "Tiefe" des Leidens. In
ihr zeigt sich ja wiederum die Staerke dessen, wogegen der Held--zuletzt
vergeblich--ankaempft.
ZWEI GATTUNGEN DER TRAGOEDIE.
Wie verhalten sich jetzt die Tragoedien nach Art des "MACBETH" zu
"ANTIGONE" und "ROMEO"? Zunaechst ist das Grundthema bei ihnen allen eines
und dasselbe. Es ist die Macht, naemlich die _innere_ Macht des Guten.
Zugleich sehen wir den Unterschied. In ANTIGONE, sagten wir, _bewaehrt_
sich die Macht des Guten angesichts des Leidens; in ROMEO _erweist_ sie
sich im Leiden. In MACBETH endlich kommt sie erst im Leiden zur
_Wirksamkeit_.
Wiederum, sind jene beiden darin eins, dass es in der einen, wie in der
anderen das _Uebel_ ist, gegen das das Gute in der Persoenlichkeit sich
behauptet, oder in dem es sich erweist. Dagegen bethaetigt sich in MACBETH
die Macht des Guten gegenueber dem _Boesen_. Wir koennten danach ueberhaupt
Tragoedien des Uebels und Tragoedien des Boesen unterscheiden und die
beiden als die zwei Hauptgattungen der Tragoedie einander gegenueber
stellen. Wir setzen indessen lieber statt dieser beiden Namen die Namen
_Schicksalstragoedie_ und _Charaktertragoedie_. Nicht weil bei der
"Tragoedie des Uebels" der Charakter, bei der "Tragoedie des Boesen" das
Schicksal keine Bedeutung haette, sondern weil das Uebel, mit dem dort das
Gute der Persoenlichkeit in Konflikt geraet, fuer die Persoenlichkeit
Schicksal ist, das Boese, gegen das hier das Gute der Persoenlichkeit Macht
gewinnt, der Persoenlichkeit selbst und ihrem Charakter angehoert.
Aber diese Unterscheidung kann nicht als eine reinliche Scheidung der
vorhandenen Tragoedien gemeint sein. So zutreffend sie ist, so wenig kann
sie die Forderung in sich schliessen, dass Tragoedien jederzeit entweder
nur der einen oder nur der anderen Gattung angehoeren. Vielmehr hindert
nichts, dass eine und dieselbe Tragoedie beide Gattungen, zugleich
vergegenwaertige. Die Gleichheit des Grundthemas verbuergt die Moeglichkeit
der Vereinigung. Dass die Tragoedie es mit Menschen zu thun hat, in denen
Gutes und Boeses sich zu mischen pflegt, dass die Groesse einer edlen
Leidenschaft mit boesem Wollen sich verbinden, ja zu ihm hinfuehren kann,
dies laesst sogar von vornherein erwarten, dass die meisten Tragoedien sich
als Vereinigungen der beiden Gattungen darstellen werden.
Darum bleibt doch der Unterscheidung ihr guter Sinn. Es genuegt dafuer,
dass wir solche Tragoedien, die mehr der einen Gattung angehoeren, solchen
gegenueberstellen koennen, die mehr der anderen angehoeren, dass wir in
jedem Falle unterscheiden koennen, in _wiefern_ eine Tragoedie der einen
oder der anderen Gattung sich zuordne. Dass wir damit zu einer reinlichen
Klassifikation der vorhandenen Tragoedien nicht gelangen, darueber kann uns
der Umstand troesten, dass Tragoedien auch nicht dazu da sind, um von uns
klassifiziert zu werden, dass sogar das Verstaendnis, auf das es beim
Kunstwerk ankommt, durch das Bestreben der Klassifikation eher verdunkelt
zu werden pflegt. Es wird erhellt durch die Erkenntnis und deutliche
Unterscheidung der Gruende, auf denen die Wirkung der Kunstwerke beruht.
Eine solche Unterscheidung der Gruende der Wirkung ist es darum, woran uns
schliesslich allein gelegen ist. Moegen diese Gruende noch so sehr Hand in
Hand gehen, so bleiben sie doch verschieden.
So gehen, wenn wir ein Beispiel wollen, die eben unterschiedenen "Gruende"
der tragischen Wirkung Hand in Hand, Schicksalstragoedie und
Charaktertragoedie sind vereinigt in GRETCHEN. GRETCHENs Liebe und dass sie
der Macht der Verfuehrung Raum gegeben hat, beides in Einem fuehrt sie ins
Leiden. Sie leidet "fuer" ihre Liebe und fuer ihre "Schuld". Und indem sie
beides thut, indem die Stimme des Guten erwacht, die in ihr eine Zeitlang
zurueckgedraengt war, und zugleich das "Liebe und Gute", das von vornherein
in ihr war und auch der Verirrung zu Grunde lag, jetzt erst recht
eindringlich wird, erweist sich in ihr das Gute in doppelter Art. "Sie
ist gerichtet", so meint MEPHISTO im Hinblick auf ihre Schuld und im
Einklang mit den Aesthetikern der "poetischen Gerechtigkeit". "Sie ist
gerettet," so verkuendigt die Stimme von oben, fuer die auch in dem
"Gericht" das Sittliche der Persoenlichkeit sich geoffenbart hat.
An die Vereinigung von Schicksalstragik und Charaktertragik in einer
Person, naemlich der Person des Helden, war hier zunaechst gedacht. Die
Moeglichkeit der Vereinigung gewinnt einen weiteren Umfang, wenn wir die
Tragoedie als Ganzes ins Auge fassen und bedenken, dass in einer und
derselben Tragoedie Vertretern der einen Art der Tragik Vertreter der
anderen Art gegenuebertreten koennen. Ist die Tragik des Helden
Schicksalstragik und ist es das boese Wollen einer Persoenlichkeit, wodurch
ihm das Schicksal bereitet wird, so wird diese Persoenlichkeit garnicht
umhin koennen, zum Traeger einer Art von Charaktertragik zu werden. Sie
wird es um so sicherer sein muessen, je mehr sie neben dem Helden
hervortritt. Nicht der Held macht ja die Tragoedie; nicht ausschliesslich,
sondern nur in erster Linie verkoerpert sich in ihm ihr Sinn. Der versteht
das Kunstwerk schlecht, der immer nur vom Helden zu reden weiss und nicht
zugleich das Ganze als Ganzes fasst, als eine Einheit, in der nichts
ueberfluessig ist oder sein darf, nichts dem einen beherrschenden Gedanken
voellig fremd gegenueberstehen oder gar ihn verneinen darf.
So gehoert zur Tragoedie "ANTIGONE" KREON ebensowohl wie ANTIGONE, zur
Tragoedie "MARIA STUART" ELISABETH ebensowohl wie MARIA STUART. Die innere
Macht des Guten, die in ANTIGONE sich behauptet, eben die muss in KREON
erwachen und ihm ein inneres Leiden schaffen, oder der Sinn des Ganzen,
der dort bejaht ist, ist hier verneint. Und wir fassen den Sinn der
Tragoedie, der eben in der Thatsache jener inneren Macht besteht, nur
halb, wenn wir nur auf ANTIGONEs und nicht zugleich auf KREONs Leiden,
und was darin zu Tage kommt, achten. Aehnlich verhaelt es sich mit MARIA
STUART und ELISABETH und in vielen anderen Faellen.
TRAGOEDIE UND ERNSTES SCHAUSPIEL.
Die _innere_ Macht des Guten, so betonten wir, macht das Thema des
Trauerspiels. Damit ist doch keineswegs ausgeschlossen, dass neben der
inneren die aeussere Macht des Guten in einem Trauerspiel uns
entgegentritt. Es _muss_ sogar so sein, wenn das Schicksal, das den Boesen
niederwirft und das Gute in ihm zum Siege bringt, in Gestalt einer das
Gute wollenden Persoenlichkeit auf die Buehne tritt. Freilich naehert sich
das Trauerspiel in dem Masse, als diese Macht hervortritt und
_selbstaendige_ Bedeutung gewinnt, dem ernsten Schauspiele, in dem eben
diese Macht des Guten das eigentliche Thema bildet. So tritt in "RICHARD
III." neben dem Helden sein Gegner RICHMOND mehr und mehr in den
Vordergrund, um schliesslich der eigentliche Held des Dramas zu werden.
RICHARD wird Mittel zum Zweck, Hindernis, das dazu da ist, von RICHMOND
ueberwunden zu werden und ihn zu verherrlichen, zugleich Folie, von der
sich die Lichtgestalt RICHMONDs glaenzender abhebt.
Man wird diese Teilung des Interesses bedauern muessen, sie zugleich aber
unter den obwaltenden Umstaenden begreifen. RICHARD klagt sich an, er
erkennt eine ueber ihm stehende sittliche Macht an. Aber genuegt die Art,
wie er es thut, um uns soweit mit ihm auszusoehnen, dass sein Ende fuer uns
Gegenstand eines, wenn auch ernsten, so doch ungetruebten, von Bitterkeit
oder Abscheu freien Genusses ist? Wuerde selbst ein vollkommeneres inneres
Gebrochensein, ein tiefergehendes seelisches Leiden, den Eindruck von so
viel Verworfenheit bis zu dem Grade zurueckzudraengen vermoegen, dass die
Genugthuung ueber den Sieg, den das Gute auch noch in einer _solchen_
Persoenlichkeit davonzutragen vermag, in uns die herrschende Empfindung
wuerde? Ist das _zermalmende_ Bewusstsein der begangenen Frevel, wie wir es
von RICHARD III. fordern muessten, bei seinem Charakter ueberhaupt
_moeglich_? Wuerden wir, nach dem, was wir gesehen und gehoert haben, daran
glauben koennen?--Verneint man diese Fragen, dann muss RICHARD III.
schliesslich zuruecktreten, und die andere Art der Versoehnung, die im
aeusseren Sieg des Guten, dem Sieg _ueber_ RICHARD besteht, Ersatz und
Ergaenzung bieten. Dann haette aber freilich RICHARD III. von vornherein in
hoeherem Grade zuruecktreten und nicht als eigentlicher Held des Dramas
erscheinen muessen. Die Frage lautet eben schliesslich: Ist nicht, wie ganz
gewiss in anderen Tragoedien, so auch schon in RICHARD III. das Mass des
sittlich Haesslichen ueberschritten, das dem Helden der Tragoedie, in der
ja wie in jedem Kunstwerk das Haessliche nur Mittel zum Zweck ist,
zugestanden werden darf?
Von einer doppelten Art der Versoehnung war hier die Rede. Die eine
besteht nur in uns, als unsere Versoehntheit mit dem Ausgang, insbesondere
mit dem Helden und seinem Geschick. Sie ist in diesem Sinne "subjektive"
und _nur_ subjektive Versoehnung. Das, womit wir versoehnt oder ausgesoehnt
werden muessen, ist das Uebel oder das Boese, das Schicksal oder die
Persoenlichkeit, oder das eine und das andere zugleich. Was uns damit
versoehnt oder aussoehnt, ist das sittlich Wertvolle in der Persoenlichkeit,
das in dem Konflikt des Helden mit dem Schicksal oder mit sich selbst zu
Tage tritt. Diese Versoehnung und nur diese ist tragische Versoehnung.
Ihr steht entgegen die objektive, die in dem Kunstwerk selbst sich
vollziehende und von uns angeschaute Versoehnung, der versoehnliche
Ausgang, die glueckliche Loesung. Diese Versoehnung bildet Ziel und Sinn des
ernsten Schauspiels. Auch hier kann, wie der Konflikt, so die Versoehnung
doppelter Art sein. Der Held, der Traeger des Guten, besiegt das ihm
entgegenstehende Schicksal bezw. die Boesen, die fuer ihn das feindliche
Schicksal repraesentieren. Das Uebel wendet sich fuer ihn zum Guten.--Oder
er ueberwindet die ihm und seinem Glueck entgegenstehende Bosheit oder
Schwaeche der eigenen Natur. So hat selbst IPHIGENIE einen Feind im
eigenen Herzen, naemlich die Luege, zu ueberwinden. Der Held ueberwindet
das Boese, das heisst hier nicht wie bei der Tragoedie, sein besseres Ich
erwacht und kommt zur Geltung _gegenueber_ der boesen Leidenschaft und in
dem Konflikt und inneren Leiden, das ihm aus der Verwirklichung seines
leidenschaftlichen Wollens erwaechst; sondern: es vernichtet das Boese, es
wird Herr darueber. Das Gute im Helden wird zum guten Wollen und zur guten
That; der Gegensatz des Boesen und Guten _entscheidet_ sich; nicht das
Boese, sondern das Gute wird schliesslich _verwirklicht_: das Boese wandelt
sich in das Gute. Dieser Sieg des Guten dient dann wiederum dazu, das
boese Schicksal, naemlich dasjenige, das aus dem boesen Wollen erwuchs oder
zu erwachsen drohte, zum Guten zu wenden. So ist ueberall der versoehnliche
Ausgang das Ziel. Dem Guten wird, weil es da ist, oder sich sieghaft
durcharbeitet, sein verdienter Lohn. Erst, indem wir diese objektive
Versoehnung miterleben, entsteht hier das Gefuehl der Versoehnung oder
unsere Versoehntheit.
Dieser Gegensatz zwischen der nur subjektiven Versoehnung der Tragoedie und
der zugleich objektiven des ernsten Schauspiels laesst sich noch in anderer
Weise bezeichnen. Dort ist das Gute, ich meine das persoenlich oder
sittlich Gute, an sich der Gegenstand des Genusses, hier das Gute mit
Ruecksicht auf die Verwirklichung seiner Zwecke; dort handelt es sich um
das _Dasein_ des Guten, hier um seine Bethaetigung, seine Leistungen,
seinen _Erfolg_. Man hat gefragt, was in der Tragoedie wichtiger sei, der
Charakter oder die Handlung. In dieser Unbestimmtheit muss die Frage
abgewiesen werden. In jedem Drama muss der Charakter in Handlungen und
Erlebnissen sich bethaetigen und ueberall muessen die Handlungen und
Erlebnisse aus einem entsprechenden Charakter begreiflich werden.
Insofern sind beide gleich wichtig. Beides ist gar nicht von einander zu
trennen. Wohl aber hat die obige Frage ihr gutes Recht, wenn sie zu
wissen verlangt, worauf die Tragoedie eigentlich abziele. Die Tragoedie,
so muessen wir sagen, zielt durchaus auf den Charakter ab, sie weist uns
von den Handlungen und Erlebnissen auf den Charakter, der darin sich
kundgiebt, waehrend das ernste Schauspiel vielmehr uns vom Charakter auf
die Handlungen und Erlebnisse hinweist, die daraus fliessen. Dort haben
die Handlungen und Erlebnisse Bedeutung, sofern sie uns ein Wertvolles im
Charakter enthuellen, hier soll vielmehr der Charakter die Handlungen und
Erlebnisse uns wertvoll und erfreulich machen.
Indem man diesen Gegensatz zwischen Tragoedie und ernstem Schauspiel
uebersah und die dem ernsten Schauspiel angehoerige objektive Versoehnung,
die objektive "Loesung des Konflikts" auch von der Tragoedie forderte,
musste man zu den oben zurueckgewiesenen, die Tragoedie verfaelschenden
Theorien gelangen. Man suchte die Loesung im Jenseits, sei es dem alles
Unrecht ausgleichenden, besseren Jenseits, sei es dem Jenseits, das mit
dem "Frieden" des Nichts gleichbedeutend ist, in jedem Falle also in
etwas, von dem der Aesthetiker allerlei wissen mag, das Kunstwerk aber
nichts weiss. Oder man suchte im Leiden und Untergang selbst die aeussere
Loesung und liess zu dem Zweck die Armen schuldig werden, die der Dichter
unschuldig hatte leiden lassen.
Allen solchen Kluegeleien gegenueber muessen wir festhalten, dass in der
Tragoedie der Konflikt thatsaechlich _ungeloest_ bleibt. Weder ist das
Leiden selbst die Loesung noch folgt ihm die Loesung. Die Tragoedie
vertraegt keine aeussere Loesung, weil in ihr die ganze Bedeutung des
Konfliktes darauf beruht, durch sein _Vorhandensein_ und das daraus
entspringende Leiden unmittelbar ein sittlich Schoenes zu
vergegenwaertigen. Dass die Tragoedie nichts weiss von gluecklichem
Ausgang, dass ihr der aeussere Erfolg des Handelns so garnichts bedeutet,
die Begriffe der "Belohnung" des Guten und der "Bestrafung" des Boesen im
aeusserlichen Sinne ihrer Natur so voellig fremd sind, vielmehr statt
dessen alles in ihr abzielt auf die Vergegenwaertigung des Guten im
Menschen, der inneren Macht dieses Guten und des Wertes, den es _an und
fuer sich hat_--, dieser hoechste sittliche Standpunkt ist es, der erst
die Tragoedie als solche konstituiert, der ihr zugleich ihre besondere
sittliche und damit aesthetische Bedeutung giebt.
DIE POETISCHE MOTIVIERUNG.
Es giebt nichts Schoeneres und Erhabeneres auf der Welt, als das Schoene
und Gute, was im Menschen ist. Darum gewaehrt die Tragoedie den erhabensten
Genuss. Immerhin ist dieser Genuss an das schmerzliche Mitfuehlen des
Leides gebunden. Hier erwaechst der Tragoedie die Aufgabe, Sorge zu tragen,
dass der Schmerz nur dient, den Genuss zu vermitteln und ihm den erhaben
ernsten Charakter zu geben, den Charakter der Liebe und Ehrfurcht, den er
zu tragen bestimmt ist; dass kein Gefuehl des Schmerzes, der Unlust, der
Verletztheit uebrig bleibt, das nicht in jenen Genuss sich aufloeste. Die
subjektive Versoehnung, die einzige, die fuer die Tragoedie gefordert ist,
muss eine _vollstaendige_ sein.
Daraus ergeben sich verschiedene Forderungen. Schon oben meinten wir, die
Tragoedie, als _dramatisches_ Kunstwerk, erheische, dass das Wollen und
Handeln des Helden zum Leiden _hinfuehre_. Jemehr dies der Fall ist,
jemehr der Held zu seinem Leiden positive Veranlassung giebt, so dass wir
es mit einer gewissen Notwendigkeit "so kommen sehen", desto eher fuegen
wir uns darein, desto leichter koennen wir uns im tragischen Genusse mit
ihm versoehnt fuehlen.
Hierauf reduziert sich das Recht der frueher erwaehnten Forderung, dass das
Leiden des Helden auf einer Ueberhebung desselben beruhen muesse. In der
That wird das Verhalten des Helden in vielen Faellen mit diesem Namen
bezeichnet werden koennen. In keinem Falle wird sich ja sein Wollen und
Handeln in den Schranken des Alltagsmenschen halten, fuer den die
Maessigung die hoechste Tugend ist. Dass es auch _Aesthetiker_ giebt, die
die "Maessigung" so hoch stellen, und von diesem sittlichen Standpunkte aus
sich in eine sittliche Entruestung gegen die reinsten tragischen Gestalten
hineinreden, das beweist nur, welche begriffsverwirrende Macht die einmal
feststehende Theorie besitzt.
Dass andererseits der boese Charakter des Helden ein gewisses Mass der
_Bosheit_ nicht ueberschreiten duerfe, dies zu bemerken hat uns schon oben
"RICHARD III" Gelegenheit gegeben. Im uebrigen ist die Bemerkung so alt,
wie die Aesthetik der Tragoedie. Nicht der eingefleischte Teufel, nur das
menschlich verstaendliche Boese, das Boese, das aus relativ berechtigter
Wurzel stammt und zugleich der Groesse nicht entbehrt, macht den inneren
Sieg des Guten begreiflich und unsere Aussoehnung mit dem Bilde des Helden
moeglich. Will man ein Beispiel, wie der Dichter es anfaengt bei aller
Macht des Boesen uns doch an die Moeglichkeit, dass das Gute zum Siege
komme, glauben zu lassen, so sehe man, wie MACBETH zum Boesen getrieben
wird, nicht durch urspruengliche Niedertracht, sondern durch gewaltigen
Ehrgeiz, wie dieser Ehrgeiz kuenstlich geschuert wird durch die eigentliche
Teufelin, die Lady MACBETH, wie MACBETH, einmal auf der Bahn des Boesen,
nicht mehr anders _kann_, als weiter stuermen. Dies alles laesst ihn gewiss
nicht schuldiger und die Strafe gerechter erscheinen, wohl aber wird uns,
wenn wir auf dies alles achten, sein boeses Thun durchaus menschlich
verstaendlich und ebendamit das Erwachen der Stimme des Guten begreiflich.
Zugleich dient es, uns die schliessliche Aussoehnung mit ihm zu
ermoeglichen.
So gewiss nun aber das Wollen und Handeln des Helden zum Leiden hinfuehren
muss, so widersinnig waere die Forderung, dass es fuer sich allein dazu
hinfuehren solle.
Man hat gesagt, in der Tragoedie muesse nicht nur der Untergang des Helden
aus dem Konflikt, sondern auch der Konflikt aus dem Charakter des Helden
mit Notwendigkeit folgen. Das ist schlecht ausgedrueckt oder leere
Schwaermerei. Nichts, was irgend ein Mensch thut, folgt lediglich aus
seinem Charakter; fuer nichts ist er allein die zureichende Ursache. Alles
folgt nur aus ihm und den hinzukommenden aeusseren _Umstaenden_. Bei EMILIA
GALOTTI waere zu Konflikt und Untergang kein Anlass, wenn sie nicht dem
Prinzen begegnete, bei ANTIGONE nicht, wenn nicht KREON ein Tyrann waere,
und so in allen moeglichen Faellen. Aus verschiedenen Bedingungen ergeben
sich verschiedene Folgen. So ist es vollends ein nichtiges Reden, wenn
behauptet wird, das Leiden des tragischen Helden sei praedestiniert in dem
Sinne, dass der Held so handeln muesste, wie er handelt "und wenn er auch
die ganze kausale Verkettung mit Gewissheit ueberblickte, durch die ihn
diese That zum Untergange fuehrt". Oder was soll es fuer einen Sinn haben,
dass OTHELLO DESDEMONA ermorden muesste, auch wenn er den Thatbestand
kennte, aus dem sich die Grundlosigkeit seiner Eifersucht ergiebt?
Aber den _Zufall_ meint man doch aus der Tragoedie ausschliessen zu
muessen. Hier kommt alles auf den Sinn des Wortes an. Meint man den Zufall,
der im Gegensatze steht zum ursaechlichen Zusammenhang der Dinge? Dieser
Zufall besteht nirgends. Kein Wunder, wenn er auch in der Tragoedie nicht
besteht. Oder meint man den Zufall als Gegensatz dessen, was ich _will_
und durch mein Wollen zuwege bringe? Diesen Zufall giebt es ueberall und
vor allem in der Tragoedie. Es ist in diesem Sinne Zufall fuer ANTIGONE,
dass KREON ist, wie er ist; fuer RICHARD, dass es Personen giebt, gegen
die er sich so verhalten kann, wie er es thut. Oder haben ANTIGONE und
RICHARD auch dies "verschuldet"?
Nur freilich der in der Tragoedie waltende Zufall, oder wenn man lieber
will, das, alles Handeln und Leiden der Personen und vor allem des Helden
mitbedingende Schicksal muss uns verstaendlich sein. Nicht nur so, dass
wir daran glauben koennen. Ohne dies waere alle Wirkung in Frage gestellt.
Sondern in dem Sinne, dass es sich einfuegt in einen uns vertrauten
Zusammenhang der Dinge. Wir muessen auch, soweit das Schicksal das Leiden
bedingt, in gewisser Weise "es mit Notwendigkeit so kommen sehen". Damit
verliert das Schicksal das Schreckliche oder Entsetzliche, das dem wider
alles natuerliche Erwarten hereinbrechenden Schicksal eignete und den
tragischen Genuss bedrohte.
In diesem Punkte verfehlt es die speciell sogenannte
"Schicksalstragoedie". Ihr besonderer Name rechtfertigt sich gewiss nicht
dadurch, dass in ihr das Schicksal "blinder" waere als sonst. Blind, und
eben darum den Gesetzen des Zufalls oder der Wahrscheinlichkeit
gehorchend ist das Schicksal sonst, im Leben und in der Tragoedie. In der
"Schicksalstragoedie" dagegen ist es vielmehr sehend, ein boshaftes Wesen,
das mit kindischem Eigensinn sich an Aeusserlichkeiten heftet, Menschen
vernichtet, weil es sich dies nun einmal in den Kopf gesetzt hat, oder
weil ein Wahnwitziger einen thoerichten Fluch ausgesprochen hat. In dies
menschlich boshafte, kindisch und toll gewordene Schicksal, finden wir
uns nicht, wie in die durch Erfahrung uns vertraut gewordene blinde
Naturnotwendigkeit. Eben darum ist es so entsetzlich und so untragisch.
Darin liegt zugleich, dass auch das Schicksal des Helden, soweit es im
_boesen Wollen Anderer_ besteht--ebenso wie nach Obigem das boese Wollen
des _Helden selbst_--uns menschlich verstaendlich sein und ein gewisses
relatives Recht in sich tragen muesse. Dies um so sicherer, je weniger
relatives Unrecht auf der Gegenseite zu finden ist. So erscheint KREONs
Wueten gegen ANTIGONE von seinem Standpunkte aus in gewisser Art
berechtigt und dadurch von seiner Seite her das Beleidigende des ueber
ANTIGONE verhaengten Leidens gemildert. Das Leiden der ANTIGONE selbst
freilich wird damit nicht geringer. Aber darum handelt es sich auch hier
nicht. Alle die hier gestellten Forderungen zielen nicht darauf ab, dass
das Leiden gemindert, sondern dass unser Schmerz ueber das Leiden
versoehnbarer gemacht werde.
Versoehnbarer,--das heisst nach oben Gesagtem: faehiger, in den Genuss, den
die Tragoedie gewaehren will, sich aufzuloesen, nicht um zu verschwinden,
sondern um darin fortzuleben als das Moment des Ernstes und heiligen
Schauers, das diesem Genusse vor anderen eignet.--Duerfen wir, so kann
jetzt gefragt werden, diesen Genuss noch mit dem Namen nennen, den wir der
tragischen Empfindung auf ihrer ersten Stufe zugestehen mussten? Ist der
tragische Genuss, wie wir ihn jetzt kennen gelernt haben, noch blosses
Mitleid? Man kann gewiss den Sinn des Wortes Mitleid so umfassend nehmen.
Sicher ist, dass wir uns von dem, was wir damals zunaechst so nannten, weit
entfernt haben. Mitleid war uns das schmerzlich freudige Bewusstsein vom
Werte eines Lebendigen, das leidet, abgesehen noch von dem specifischen,
im hoechsten Masse sittlichen Werte, den ein Leidender und sein Leiden
gewinnt, indem sich in ihm in bestimmter Art das Gute als innerlich
siegende Macht erweist. Jetzt sehen wir eben in diesem Werte den
besonderen Gegenstand des Genusses. Damit erhebt sich der Genuss an der
Tragoedie ueber das Gefuehl des Mitleids gegenueber einem beliebigen
tragischen Objekt so hoch, als sich dieser specifische Wertinhalt erhebt
ueber das blosse Dasein eines Lebendigen. Es ist beide Male Empfindung von
derselben Art; nur hier, bei der Tragoedie, wie es in der Natur des Dramas
liegt, in Fluss gebracht, potenziert und in einem Punkte von hoechster
Bedeutung zusammengefasst.
DER UNTERGANG DES HELDEN.
Indessen wir sind mit dem Bilde des Genusses, den die Tragoedie gewaehren
will, noch nicht voellig zum Abschluss gelangt. Wir haben schliesslich noch
im Ganzen die Frage zu stellen, auf die wir gelegentlich und im Einzelnen
schon eine Antwort gaben. Wozu der Tod des tragischen Helden?
Warum muss ANTIGONE sterben? Weil sie nur angesichts des Todes die volle
Macht ihrer Bruderliebe an den Tag legen kann, und die Drohung KREONs
nicht etwa nachtraeglich als Scherz sich erweisen darf. Warum ROMEO? Weil
nur der _toedliche_ Schmerz die Macht seiner Leidenschaft voll offenbaren
kann. Warum endlich RICHARD III.? Dass sein Untergang notwendig ist, wenn
der Triumph RICHMONDs ein vollkommener, die Herrschaft besserer Zeiten,
die mit ihm anbricht, unzweifelhaft sein soll, kommt fuer die Tragik in
RICHARD nicht in Betracht. Wohl aber dies, dass auch er, so wie er einmal
ist, und nach solchen Zunichtewerden seines ganzen Wollens nicht weiter
leben kann. Darum stirbt er zwar keineswegs resigniert, aber er stuerzt
sich in den Kampf, um zu siegen _oder_ unterzugehen.
Soweit erscheint der Tod in verschiedenen Tragoedien verschieden
begruendet. Es lassen sich aber zugleich die verschiedenen Gruende in einen
zusammenfassen. Der tragische Konflikt ist unloesbar und wir haben
gesehen, warum er es sein muss. Ebendarum, muss er _abgeschnitten_ werden.
Die Endlosigkeit des Konfliktes und Leidens wuerde wiederum die
Versoehnung, naemlich die Versoehnung unseres Gefuehles mit sich selbst,
aufheben. Das endlose Leiden waere nicht tragisch, sondern entsetzlich.
Aus diesem Grunde ist der Tod notwendig, nicht fuer den Helden, sondern
fuer uns, nicht objektiv, sondern fuer unser Empfinden.
Zugleich ist durch den Tod alles unnoetige und dem Kunstwerk
widersprechende Fragen abgeschnitten: Was wuerde aus RICHARD, wenn er
weiter lebte? Was _wird_ aus ihm oder ANTIGONE in irgend welchem
Jenseits?--Im Kunstwerk ist es zu Ende; und wir haben nicht das Kunstwerk
auf unsere Kosten weiterzudichten. Nicht vorwaerts soll unser Blick gehen,
ueber das Kunstwerk hinaus, in das Gebiet unserer Reflexionen, sondern
haften soll er und nach rueckwaerts gehen.
Das kann er aber jetzt in _besonderer_ Weise. Der Tod ist das Ende des
Leidens, auch in dem Sinne, dass mit ihm erst die Wirkung des Leidens auf
_uns_ sich abschliesst und vollendet. Der Freund, der leidet, erscheint
uns liebens- und achtungswerter. Er erscheint uns in dem _ganzen_ Wert,
den er fuer uns hatte, wenn er uns entrissen ist. So auch tritt uns die
ganze Erhabenheit und Schoenheit der ANTIGONE ins Bewusstsein, wenn sie
dahingegangen ist. Wir wissen, was sie war, wenn sie nicht mehr ist. Und
ebenso wird bei RICHARD III., was an ihm Wertvolles war und in seinem
Leiden zu Tage getreten ist, erst mit seinem Tod uns voellig gegenwaertig.
Der Tod wirkt verklaerend, nicht objektiv, sondern in unseren Augen, nicht
den Helden, sondern sein Bild verklaerend.
Und er wirkt zugleich andererseits mildernd, reinigend. Solange ANTIGONE
lebte, war sie verflochten in den Streit der Leidenschaften; und in ihm
mochte sie gelegentlich herb und verletzend erscheinen. Solche Gedanken
treten zurueck angesichts des Todes. So lange RICHARD III. lebte, haftete
unser Blick an dem Schrecklichen, was sein Wollen und Thun als solches
fuer uns hatte und haben musste. Dies einzelne Wollen und Thun
verschwindet, wie alles Einzelne, angesichts des Todes. Der Tod oeffnet
die Augen fuer das Ganze der Persoenlichkeit, fuer das, was sie im Ganzen w
a r. Und da sehen wir auch das Gute und berechtigt Menschliche, was
selbst dem verletzenden oder schrecklichen einzelnen Wollen und Thun zu
Grunde lag. Es ist wiederum keine objektiv, sondern eine subjektiv
reinigende, ich meine eine unsere Betrachtung, unser Bild des Helden
reinigende Wirkung, von der ich hier spreche.
SCHLUSS.
In dieser reinigenden und jener verklaerenden Wirkung des Todes vollendet
sich endlich der Sinn und Zweck der Tragoedie. Nach dem Gesagten ist der
Tod, der physische Untergang, nichts weniger, als dasjenige, was den
eigentlichen Sinn der Tragoedie macht; sosehr auch die Meinung in Geltung
sein mag. Er ist vielmehr ein durchaus sekundaeres, dienendes, immerhin um
des Zweckes willen notwendiges Moment. Dieser Zweck der Tragoedie ist
aber, um nun unser Ergebnis noch einmal in Eines zusammenzufassen, kein
anderer als der, _uns die Macht des Guten in einer Persoenlichkeit
geniessen zu lassen, wie sie im Leiden zu Tage tritt und gegen Uebel und
Boeses sich bethaetigt, uns von dem Werte dieses Guten den denkbar tiefsten
und reinsten Eindruck zu geben, einen Eindruck, der nicht, wie so oft im
Leben, getruebt ist durch den Gedanken an uns selbst, an aeusseren Erfolg,
an Lohn und Strafe, der im Gegensatz zu allem Haften am Einzelnen und an
der Oberflaeche des Geschehens und Thuns dem Ganzen der Persoenlichkeit und
ihrem innersten Wesen gerecht wird. Die Tragoedie fordert dafuer nichts,
als dass wir uns ihr ganz hingeben und nichts Fremdes einmischen, dass wir
vor allem nicht in unseren Reflexionen und Theorien statt im Kunstwerk
unsere Befriedigung suchen.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER STREIT UEBER DIE TRAGOEDIE ***
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